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Frühes Erwachen

Wo es auch im Winter blüht

Es gibt Pflanzen, die öffnen ihre Blüten mitten in der kalten Jahreszeit. Besonders zahlreich findet man sie in der grössten Gehölzsammlung der Schweiz: im Arboretum im idyllischen Tal bei Aubonne VD.

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Wenn rundum alle Pflanzen in der Winterruhe verharren, öffnet er eine Blüte nach der andern: der Winterschneeball.

Es ist Winter, es ist kalt. Die Landschaft zeigt sich noch kahl, die Bäume stehen nackt. Und dennoch soll es blühen hier, in diesem Tal unweit von Lausanne. Am Vortag hat Pascal Sigg eine Liste mit Sträuchern und Bäumen geschickt, die bereits ihre Blüten öffnen: weiss, gelblich, rot und rosa. Jetzt im Januar, mit-ten im Winter. Er muss es wissen.Pascal Sigg ist Direktor der grössten Gehölzsammlung der Schweiz: des Arboretums in Aubonne VD. Es beherbergt viertausend verschiedene Sorten und Arten von Sträuchern und Bäumen – und darunter eben auch solche, die bereits im Winter blühen. Viele von ihnen duften auch. Die wollen wir jetzt alle finden. Den Wintermantel zugeknöpft, den Plan in der Hand – los gehts!

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Gehölze sammeln ist Pascal Siggs Leidenschaft – seit seiner Kindheit. Obwohl es viele sind, scheint er hier im Arboretum jeden einzelnen Baum zu kennen.

SELTENE WINTERBLÜTE

Schon beim Eingang zum Arboretum steht ein hübscher Strauch mit den ersten Farbtupfern. Es ist die Winterblüte (Chimonanthus praecox). An ihren Zweigen hängen gelbliche Hütchen mit purpurner Mitte. Der süsslich-zitronige Duft ist so intensiv, dass man gar nicht mehr von ihr weg will.In Parkanlagen ist die Winterblüte manchmal zu Gast, in Gärten selten. Weshalb? «Die Blätter, die nach der Blüte folgen, und die Herbstfärbung sind nicht sehr speziell», sagt Pascal Sigg. «Das Spektakuläre an dieser Pflanze ist die sehr frühe Blüte. Wer dies liebt, der hat wohl eine Winterblüte im Garten.»Auch ihre Nachbarin hat bereits die ersten Knospen entfaltet. Die Winterduft-Heckenkirsche (Lonicera x purpusii) hat an ihren dicht verzweigten Ästen weisse Blüten, die wie Ballerinas in der Winterluft tanzen. Ihr Parfum erinnert an Honig. Spätestens dann, wenn Pascal Sigg von der Robustheit und Pflegeleichtigkeit der Winterduft-Heckenkirsche schwärmt, überlegt man, wo im Garten zu Hause es noch Platz für sie gäbe. Sie sei leicht zu vermehren über Ableger oder Stecklinge, er-gänzt Sigg. Somit könnte man vielleicht auch noch anderen Gartenleuten eine Freude machen.Nicht weit entfernt steht der Weisse Seidelbast (Daphne mezereum f. alba). Er ist eng verwandt mit dem Echten Seidelbast. Ihn trifft man an vielen Orten in der Schweiz im Wald oder in felsigem Gebiet mit Büschen an. Er wird nicht sehr gross, aber seine stark violetten Blüten sind nicht zu übersehen. «Eins der wenigen einheimischen Gehölze, die im Winter blühen», sagt Sigg. Hierzulande sei die Liste mit den in der kalten Jahreszeit blühenden Pflanzen nicht sehr lang, die Schwarz-Erle und der Haselstrauch seien noch drauf, hätten aber eher unscheinbare Blüten. Aber die Erika dürfe man nicht vergessen! Die Schneeheide (Erica carnea) ist in der Schweiz in Föhrenwäldern oder an trockenen Hängen zu finden. Sie wächst nicht sehr hoch, vielleicht dreissig Zentimeter, blüht aber reichlich und schön in Rosa bis Pink. Im Arboretum treffen wir auf eine Verwandte, die Erica x darleyensis, die Winterblühende Heide. Unter dem grossen Mammutbaum im Eingangsbereich breitet sie sich nach allen Seiten aus. «Sie ist ein prima Bodendecker», erklärt der Direktor und streicht mit der Hand durch den Pflanzenteppich. «Und sie braucht keine Pflege. Wer will, kann zwischendurch dürre Stellen herausschneiden, aber mehr Aufwand ist nicht nötig.»

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Im ausgehenden Winter öffnet der Japanische Papierbusch seine Blüten. Wie grosse gelbe Blumen hängen sie stark duftend zwischen den Ästen und erfreuen das Gärtnerherz.

VERFÜHRERISCHER DUFT

Unweit vom Erikateppich entdecken wir die Blüten der Zaubernuss ‘Diane’, die rot leuchtend an den noch kahlen Ästen hängen. Und zu ihren Füssen stehen verschiedene Sorten der Sarcococca. Ihre Blüten sind zwar unauffällig, ihr fruchtiger Duft dafür umso gewinnender. «Damit sie richtig gut gedeiht, braucht sie sauren Boden», erklärt Pascal Sigg. Einst habe man sie oft mit Rhododendren kombiniert, doch irgendwie sei die Sarcococca aus der Mode geraten. Wir nehmen nun den Weg den Hügel hinauf, der durch eine Birkensammlung führt. Über vierzig verschiedene Birken stehen hier, einige mit enormem Stammdurchmesser. Die Birken sind eine von rund hundert Gattungen, die das Arboretum sammelt.

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In vielen Rosa- und Weisstönen leuchten die Blüten an den kahlen Ästen. Über vierzig verschiedene Schneebälle sind im Arboretum zu sehen.

WISSENSCHAFTLICHER ANSATZ

Sammeln und zeigen war einer der Gründe, dass fünf Waadtländer Baumfans das Arboretum 1968 gründeten. Das Aubonne-Tal schien perfekt zu sein für ihr Projekt. Es gibt Wasser von der Aubonne, die im Jura entspringt und auf ihrem Weg zum Genfersee durch das nach ihr benannte Vallée fliesst: ein Tal mit verschiedenen mikroklimatischen Bedingungen. Eine Talseite ist der kalten Bise ausgesetzt, die andere trocken und warm. Ideal, um eine möglichst grosse Zahl der Gehölze anzusiedeln, die auf der nördlichen Halbkugel wachsen – so wie es die Baumfreunde zum Ziel hatten. Doch bevor sie seinerzeit die ersten Bäume pflanzten, sammelten Dendrologen, wie die Gehölzkundler heissen, alle möglichen Daten. Sie nahmen alle hundert Meter Bo-denproben und massen an diversen Standorten im Tal Temperatur und Niederschläge. Als sie jeden Winkel vermessen hatten, zeichnete der Genfer Landschaftsarchitekt Walter Brugger die Grundstruktur des Baumparks. Er achtete darauf, dass zwischen den einzelnen Sammlungen Freiräume bestehen blieben und die Gehölze einer Gattung jeweils von oben am Hang bis hinunter ins Tal verteilt standen. Teiche wurden angelegt, das Gelände – wo es noch nicht gefiel – zum Teil stark modelliert. Dann erst pflanzten sie. Samen und Jungpflanzen aus aller Welt wurden gesucht und in tagelanger Arbeit von Freiwilligen gepflanzt. Jeden Schritt haben sie genaustens dokumentiert. Denn das Arboretum – als Stiftung organisiert – verfolgte von Anfang an einen wissenschaftlichen Ansatz. Beobachtungen und Versuche gehören dazu.

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Mit ihren kräftigen karminroten Blüten gehört die Sorte ‘Diane‘ zu den schönsten Zaubernüssen.

Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #1 Winter 2021. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.

Text Sarah Fasolin  Fotos Stöh Grünig