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Einblicke ins Unerwartete

Wer von Süden her nach Poschiavo GR fährt, trifft am Dorfeingang auf prächtige Palazzi aus dem 19. Jahrhundert. Darunter das Devon House mit seinem herrlichen Garten. Ein Besuch.

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Umgeben von Natur und Bergen lässt sich hier wunderbar ruhen: Vom hinteren Teil des Areals schweift der Blick über die Gartenanlage mit einem nostalgischen Pavillon im Zentrum. Dahinter das Devon House, eingerahmt von den benachbarten Palazzi, die alle nach Süden ausgerichtet sind.

Zwei Dinge, wird erzählt, seien charakteristisch für die Puschlaver und einten diese überall auf der Welt: ihre spezielle Sprache – der italienische Dialekt Pus’ciavin – und ihr Heimweh. In der Tat: «La nostalgia», die Sehnsucht nach dem heimatlichen Tal, scheint die meisten Menschen aus dem Bündner Südtal sogleich zu befallen, wenn sie den Berninapass in Richtung Norden überqueren. Egal, wohin es sie verschlägt, wo sie in der Folge arbeiten und leben, ihr Herz bleibt im Valposchiavo. Dorthin kehren sie wenn immer möglich zurück: in den Ferien, zu Familienfesten, an Feiertagen, mitunter an gewöhnlichen Wochenenden und manchmal für immer.

Diese ausgeprägte Heimatverbundenheit ist notabene keine Erscheinung der heutigen Zeit. Schon im neunzehnten Jahrhundert hatte es viele Puschlaver, die Jahre davor aus wirtschaftlichen Gründen in die Welt geschwärmt waren, um ihr Glück zu suchen, zurück zu ihren Wurzeln gezogen. «Sie wussten wohl, dass sie nirgendwo einen schöneren Ort finden würden.» Das sagt Hans-Jörg Bannwart. Und er muss es wissen. Denn auch er war einst in die Welt gezogen, hatte aber stets ein Pied-à-terre im Puschlav behalten und ist vor einigen Jahren ganz zurückgekehrt.

Doch davon später. Wir treffen den Juristen in seinem wunderschönen Garten, der sich – getrennt durch eine schmale Strasse – vor seinem Haus erstreckt. Dieses trägt den speziellen Namen Devon House und ist eingebettet in eine Reihe weiterer herrschaftlicher Palazzi mit prächtigen Fassaden: eine einmalige Szenerie, die sich hier eröffnet, die man in einem Bergdorf nicht erwartet, die einen eher in Barcelona, Venedig oder Florenz wähnen lässt. Eine Gesamtanlage, die Geschichten erzählt, die staunen und auf faszinierende Weise Geschichte spüren lässt.

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Blick vom Devon House hinunter auf den Garten: die typisch dreigeteilte Parzelle mit dem Nutzgarten, wo heute Cardy, Palmkohl, Kürbisse und Blumen gedeihen, dem Lustgarten mit Pavillon und Sitzgruppen sowie zuhinterst dem Obstgarten – dem Hostett – mit alten Kirsch-, Apfel- und anderen Fruchtbäumen.

Vermächtnis der Puschlaver Zuckerbäcker

Doch eins nach dem anderen. Nachdem die Bündner 1512 das Veltlin (I) erobert hatten, entwickelte sich das Puschlav zu einem wirtschaftlich und strategisch bedeutenden Zentrum. Dank regem Handel und Transport wuchs Poschiavo zur zweitgrössten Ortschaft Graubündens. Zudem waren aufgrund eines Abkommens mit der Republik Venedig viele Puschalver in der Lagunenstadt tätig. Als dieses Abkommen dahinfiel und Napoleon 1797 das Veltlin der neu gegründeten Cisalpinischen Republik zuschlug, wurde die lokale Wirtschaft empfindlich geschwächt.

Das auf Landwirtschaft und Viehzucht ausgerichtete Tal und dessen Menschen verarmten aufgrund der Landknappheit und des ausbleibenden Handels zusehends, worauf Anfang des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr Puschlaver ihre Heimat verlassen mussten, um in Italien, Spanien, Portugal, England oder Russland sowie später auch in Nord- und Südamerika oder Australien eine neue Existenz aufzubauen. Viele dieser Auswanderer waren als Zuckerbäcker und Cafetiers tätig, führten in Metropolen wie Madrid, Sankt Petersburg, Warschau, Odessa, Kiew, Porto oder Lissabon schicke Kaffeehäuser und Patisserien. Die meisten waren sehr erfolgreich, erlangten schnell beachtlichen Wohlstand.

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Die zwei Trauerweiden (oben links ist die eine zu sehen) im Devon-House-Garten erkrankten vor zwei Jahren an einem Pilz und mussten stark zurückgeschnitten werden. Sie erholen sich gut, auch wenn sie noch eher an Palmen erinnern.

Stattliche Häuser im festlichen Kleid

Am Ende ihrer Karriere, manchmal aber schon nach zehn oder zwanzig Jahren in der Fremde, kehrten viele dieser wohlhabenden Emigranten in ihr Bergtal zurück, um dort zu privatisieren. «Dass ihnen die ärmlichen Bauernhäuser zum Wohnen nicht mehr genügten, versteht sich von selbst», erzählt Hans-Jörg Bannwart. Mit dem im Ausland erwirtschafteten Geld bauten sie sich deshalb stattliche Häuser mit städtischen Fassaden und einigem Komfort, an den sie in der Zwischenzeit gewöhnt waren. So entstanden im Zentrum Poschiavos – dem Borgo – die ersten Häuser mit Toiletten, fliessendem Wasser, hohen Räumen, grossen Fenstern und Gärten. «Es entwickelte sich ein neues, gesundes und urbanes Wohnen», erläutert Bannwart.

Ausgehend von den ersten dieser herrschaftlichen Häuser im Zentrum entstand ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts am ehemals südlichen Dorfrand ein ganzer Strassenzug mit prächtigen Villen. «Spaniolenviertel» wird das Quartier bis heute genannt – angelehnt an die reichen Rückkehrer vor allem aus Spanien – oder manchmal auch einfach nur «Palazzi». Idee und Realisierung des Viertels sind eng mit dem damaligen Podestà Tomaso Lardelli und dem jungen italienischen Architekten Giovanni Sottovia verbunden. Lardelli hatte ursprünglich den Bau einer einfacheren Häuserreihe geplant. Als 1856 damit begonnen werden sollte, traf zufällig Sottovia im Ort ein, änderte die Pläne und baute rund ein halbes Dutzend mehrstöckiger Villen im neoklassizistischen Stil sowie einen Palazzo im venezianisch-neo-gotischen Stil. «Er hat den Häusern ein festliches Kleid gegeben», sagte Podestà Lardelli später.

«Damals führte vor den Häusern noch keine Strasse durch, es gab jedoch einen durchgehenden Vorplatz, der in einen parkartigen Gemeinschaftsgarten für das ganze Quartier überging», erörtert Hans-Jörg Bannwart die zu den Palazzi gehörenden Gärten, die bis heute ein integraler Bestandteil des Gesamtkonzepts sind. Analog zu den Häusern war auch dieser Park im neunzehnten Jahrhundert entstanden. Die Unterteilung in voneinander ab-getrennte Parzellen vor den jeweiligen Häusern erfolgte erst später. «Das erkennt man daran, dass die Mittelachsen der Gärten nicht mit jenen der Häuser übereinstimmen, sondern leicht versetzt sind», führt der Besitzer des Devon House aus. Dieses wurde 1864 von Sottovia für einen gewissen Pietro Pozzi gebaut, der mit einem Kaffeehaus in Porto (Por) zu grossem Vermögen gekommen war. 1908 wechselte das Haus in den Besitz der Familie Semadeni, eine weitere Emigrantenfamilie, die in Ilfracombe in der südwestenglischen Grafschaft Devon erfolgreich ein «Swiss Café» betrieben hatte. Hans-Jörg Bannwart konnte das Devon House 2004 erwerben und liess es im Innern, später auch aussen restaurieren.

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Der deutsche Schriftsteller Wolfgang Hildesheimer bezeichnete die Palazzi als «in Architektur transportierten Zuckerguss».

Kein Gärtner aus Leidenschaft

Es sind fürwahr nicht nur die herrschaftlichen Häuser, die Poschiavo so einzigartig machen und dem Borgo das Flair der grossen, weiten Welt verleihen. Ebenso in den Bann ziehen die Gärten, von denen man von der Strasse her den einen oder anderen Blick erhaschen kann. Dass wir im Garten des Devon House auch die hinteren, verborgeneren Bereiche besuchen dürfen, lässt uns den Aufbau erst richtig verstehen. «Typisch für das Gartenkonzept war die Dreiteilung», erklärt uns Hans-Jörg Bannwart. Das heisst: Im vorderen Bereich lag der Nutzgarten, in dem gesundes Gemüse angebaut wurde. Dahinter folgte der Lustgarten mit Teepavillons und Flächen zum Flanieren und Verweilen sowie im hintersten Teil der Hostett – eine Wiese mit Obstbäumen wie Kirschen, Zwetschgen, Mirabellen, Äpfel, Birnen.

Die Gartenparzelle vor dem Devon House ist in dieser dreiteiligen Grundstruktur gut erhalten und wurde von Hans-Jörg Bannwart auf schöne Weise weiterentwickelt. Wer über den Eisenzaun blickt, entdeckt je nach Saison tanzenden Mohn, Königskerzen, gefüllte Rosen, duftende Lilien oder einen Wald aus bunten Stockrosen (Malven). In den Gemüsebeeten wachsen Spezialitäten wie Cardy und dekorativer «cavolo nero toscano» – Toskanischer Palmkohl – sowie Kürbisse. Alles ist harmonisch angeordnet, abgestimmt, in Form gehalten, gepflegt. Wir trauen deshalb kaum unseren Ohren, als der Besitzer erzählt, dass er im Grunde genommen kein Gartentyp sei. «Ich gärtnere nicht aus Leidenschaft, gebe mir aber Mühe», räumt Hans-Jörg Bannwart ein und lacht. Er habe stets versucht, die Überwucherung in Grenzen zu halten – anfänglich jedoch mit mässigem Erfolg. «Als ich meiner Nachbarin vor ein paar Jahren Komplimente für ihren schönen Garten machte, bedankte sie sich und erwiderte, dass ich dafür halt keine Zeit hätte», erinnert er sich. Da sei ihm klar geworden, dass er es besser machen müsse.

«Ich habe den Garten so konzipiert, dass er sich mit vier Tagen Schnittarbeiten und Jäten pro Saison instand halten lässt», sagt er. Durch Massnahmen wie dunkle Folien gegen wucherndes Unkraut in den Gemüsebeeten erspare er sich viel Arbeit. Die Folien verbesserten zudem das Mikroklima. Auch bekämpft Bannwart Neophyten wie zum Beispiel Artemisia (Beifuss) nicht durch wiederholtes Ausreissen, sondern kontrolliert die Ausbreitung, indem er die krautigen Stängel zu Büschen zusammenbindet und in Form schneidet. «Es braucht nach wie vor Überwindung, dass ich mich ans Gärtnern mache, aber wenn ich mal dran bin und sehe, dass alles ganz präsentabel wird, kommt schon auch Freude auf», räumt er ein und fügt an, dass alles etwas einfacher geworden sei, seit er sich vor ein paar Jahren Ambrogio – den Rasenroboter – angeschafft habe. Zudem sei er von Anfang an auch von seiner Mutter gärtnerisch unterstützt worden. «Von ihr habe ich vieles gelernt.»

Text Corinne Schlatter Fotos Nadja Athanasiou

Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #4/2020. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.

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