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Wie aus einer anderen Zeit

Voller Poesie und Nostalgie ist der verwunschene Garten, den Denis Schneuwly rund um das ehemalige Bahnwärterhäuschen in Léchelles FR geschaffen hat.

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Malerisch: Das Bahnwärterhaus mit seinen Holzschindeln und patinierten Fensterläden fügt sich harmonisch in das Umfeld ein. Nicht mehr lange und die Blätter der Jungfernrebe verfärben sich feurig rot und orange.

«Wenn Sie im Acker landen, sind Sie falsch abgebogen», hiess es – mit einem Augenzwinkern – im Mail. Eine gefühlte halbe Ewigkeit rollt das Auto an diesem heissen Spätsommertag über den holprigen Feldweg, erst vorbei an Wiesen und Äckern, dann durch den Wald, um schliesslich auf einer Lichtung zum Stehen zu kommen. Ein von wildem Wein umranktes Häuschen lugt keck zwischen der üppigen Vegetation hervor. Etwas Märchenhaftes liegt über der Szene. Es würde nicht verwundern, wenn jetzt Frau Holle am Fenster erschiene, um ihr Duvet auszuschütteln. Aber von Schnee sind wir heute weit entfernt.

Denis Schneuwly hat sich mit einem Buch in den Schatten der Glyzinie auf dem ehemaligen Perron bei seinem Bahnwärterhäuschen zurückgezogen. Heute ist es definitiv zu heiss, um im Garten zu werkeln. In regelmässigen Abständen fährt mit lautem Schnaufen ein Zug vorbei und sorgt für eine zusätzliche warme Brise und eine Unterbrechung der Unterhaltung. 

Im Gegensatz zu unserer schnell- und kurzlebigen Zeit, in der nur mehr wenig Bestand hat, war das Leben früher wesentlich beschaulicher. Man hatte mehr Zeit füreinander, und auch die Züge bewegten sich in gemächlicherem Tempo. Gemäss dem SBB-Verzeichnis von 2001 gab es in der Schweiz zudem einst 384 Bahnwärterhäuschen – die meisten zwischen 1850 und 1900 erbaut. Wie viele von ihnen heute noch stehen, ist aber unbekannt. Man schätzt zwischen hundert und hundertfünfzig. Früher bediente meist die Frau die Schranke, während sich ihr Mann um den Unterhalt von Schienen und Bahn kümmerte.

Es waren Denis Schneuwlys Grosseltern, die hier lebten und wirkten. Seine Grossmutter kam ihrer Tätigkeit als «garde-barrière» bis zu ihrer Pensionierung nach. Die Umleitung der Kantonsstrasse und der Bau von zwei Brücken über die Eisenbahnlinie Anfang der Sechzigerjahre machte diese Funktion jedoch überflüssig. Nach dem Tod der Grosseltern ging das Haus erst an Schneuwlys Onkel, Anfang der Achtzigerjahre dann an seine Eltern über, die ein Faible für den Garten hatten und Gemüse anbauten. Schon immer hatte das herzige Bahnwärterhäuschen als Ort des frohen Zusammenseins und des Teilens eine wichtige Rolle im Leben der Familie gespielt. So war es ganz natürlich, dass Denis Schneuwly das Anwesen nach dem Tod der Eltern gemeinsam mit seiner Schwester Marie-José Vaudroz übernahm und die Familientradition fortsetzte.

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Im Schatten des Blauregens lässt es sich an heissen Tagen gut aushalten: Sonnenkinder wie Wollziest und Lavendel fühlen sich im Kies am Fuss der Wildrose wohl. Die Hagebutten künden den Herbst an. 

Gartenarbeit heilt

Der gebürtige Freiburger verbrachte sein Erwachsenenleben in Genf. Nach dem Biologiestudium arbeitete er für das Schweizerische Rote Kreuz und das Sozialamt. «Die Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen war sehr interessant, aber auch intensiv», erklärt Denis Schneuwly, der als Ausgleich zu seiner Tätigkeit stets den Kontakt zur Natur suchte und schätzte. Den wohltuenden Effekt des Wühlens in der Erde auf die psychische und die physische Gesundheit machte er sich auch an seinem Arbeitsplatz zunutze, indem er einen Garten ins Leben rief, der den entwurzelten Menschen die Möglichkeit gab, neue Wurzeln zu schlagen: der Garten als Ort der Heilung.

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Schätzt den Dialog mit der Natur, die ihn stets aufs Neue verzaubert: Denis Schneuwly. Seelenvolle Gärten entstehen, wo Authentizität auf Engagement trifft und alles sorgfältig aufeinander abgestimmt ist.

Nach dem Tod seines Vaters hatte Denis Schneuwly begonnen, sich intensiv mit dem Grundstück beim Bahnwärterhäuschen auseinanderzusetzen. «Am Anfang gefiel mir nichts», gibt er zu, «und so veränderte ich einen Bereich nach dem anderen, um Freude am Anblick zu haben.» Im Lauf der Jahre entstanden so mehrere Räume mit unterschied-lichen Themen. In Terrassennähe befindet sich ein Kiesgarten mit trockenheitsverträglichen Pflanzen wie Perlkörbchen Anaphalis triplinervis, Wollziest Stachys byzantina, Salbei Salvia officinalis, Lavendel und Wildrosen, deren rote Hagebutten in dieser Jahreszeit wie kleine Juwelen leuchten. Ein alter Steinbrunnen, Farne und Zinkgiesskannen  aus früheren Zeiten verweisen auf das Gespür für schöne Details und den Geist des Orts, den sogenannten Genius Loci. Vom Kiesgarten aus geniesst man einen schönen Ausblick auf die lieblichen Hügel und den Wald vis-à-vis. Ein asiatisch anmutender Pfad aus Steinplatten führt in den weiter hinten gelegenen -Bereich, in dem mit Farnen unterpflanzte Vogelbeeren dominieren.

Der Pflanzenfreund sucht keine Raritäten und ist offen für verschiedene Stile und Herangehensweisen ans Gärtnern, solange sich eine Absicht dahinter verbirgt. Vielmehr geht es ihm um ein aufrichtiges Engagement, um die Ideen hinter einer Gestaltung, um das Vorhandensein einer Struktur und um ein harmonisches Verhältnis zwischen Gebäuden, Pflanzen und Materialien. Achtsamkeit verdient Wertschätzung. «Im Garten suche ich Verzauberung und Staunen, die mit Menschen nichts zu tun haben. Das kann eine Pflanze sein, die sich im Wind bewegt, ein Insekt oder einfach magisches Licht. Das Licht ist so wichtig», erläutert der leidenschaftliche Gärtner seine Philosophie.

Text und Fotos Annette Lepple

Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #6/2024