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Karins Pflanzenbühne

Als Bühnenbildnerin an verschiedenen europäischen Theatern kehrte Karin Leuenberger in ihre Heimat Schaffhausen zurück. Dort inszenierte sie den Garten ihrer Kindheit neu.

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Sie lebe hier im Paradies, sagen ihre Freunde, wenn sie zu Besuch kommen oder den Garten bei einem Sommerfest geniessen. Trotzdem wäre Karin Leuenberger bereit, ihn aufzugeben. Für ein neues, noch ungestaltetes Stück Land.

Manchmal denkt Karin Leuenberger, jetzt sei alles fertig. «Aber das ist im Garten ein Trugschluss», sagt sie. Es kommt immer wieder etwas. Mal ein Sturm, mal ein Pilz, mal eine Dachsfamilie. Aber jetzt, an diesem warmen Sommertag mit den grossen Bäumen und den vom Sonnenlicht beleuchteten Blüten, wirkt der Garten so idyllisch. Die Einschnitte, die es hier gab und die es im Leben jedes Gartenbesitzers und jeder Gartenbesitzerin gibt – sie sind in diesem Moment weit weg.

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Farbe der ersten Bühne: Gelb

Ein kleines Gartenzimmer vor dem Hauseingang empfängt die Besucherinnen und Besucher. Ein Raum, der fast nur in Gelb ausstaffiert ist: Goldregen, Goldfelberich, Taglilien und Geissblatt setzen sich in Szene. Dieser kleine Ankunftsraum verrät schon einiges über diesen Ort und seine Gestalterin, zum Beispiel dass hier Farben nicht zufällig gewählt wurden oder dass auf eine wirkungsvolle Staffelung von hohen und niedrigen Pflanzen Wert gelegt wurde. Auch sieht man von hier aus kaum etwas vom restlichen Garten und ist neugierig, wie es weitergeht: der perfekte Auftakt für eine gelungene Dramaturgie.

Durch ein Efeutor hindurch gelangt man auf die nächste Bühne. Hier wandert der Blick als Erstes zu einem runden Seerosenteich, der von orangen und pinken Stauden – vor allem Scheinsonnenhüten – umrandet ist. Dann fallen ein von Kletterpflanzen überwachsener Pavillon auf und eine auf einem kleinen Hügel gepflanzte Magnolie. Auch diese Bühne hat Karin Leuenberger von Grund auf selber gestaltet, damals vor elf Jahren. Nach vielen Jahren, die sie in Berlin, Wien und Köln als Bühnenbildnerin gearbeitet hatte, war sie zu ihren Wurzeln in Schaffhausen zurückgekehrt. Von ihrer Tante hatte sie das Haus mit Jahrgang 1912 geerbt, in dem sie zur Welt gekommen war und ein paar Jahre gelebt hatte, ehe sie noch als Kind mit ihren Eltern nach Bern gezogen war.

Garten

Verschiedene Rot- und Grüntöne bestimmen das Bühnenbild. Protagonistinnen wie die Rote Spornblume oder der Klatschmohn verändern es laufend – da sie sich selber versamen und mal da, mal dort auftreten.

Neuanfang im Garten

Nachdem sich Karin Leuenberger wieder in Schaffhausen niedergelassen hatte, brauchte das Haus eine grössere Sanierung und der Garten einen Neuanfang. Er war verwildert, seit vielen Jahren vernachlässigt worden. Sie, die bis dahin nur rund um ein Walliser Chalet ein bisschen Gartenerfahrung hatte sammeln können, machte sich an die Arbeit. Liess roden, fällen, baggern und gab dem Garten mit einem breiten Gehölzgürtel einen Abschluss zur Strasse hin und gleichzeitig einen Rahmen. Das benachbarte Gebäude wollte die Bühnengestalterin hinter einem Baum verstecken: Sie setzte eine Paulownia – einen Blauglockenbaum –, da diese, so habe man ihr gesagt, schnell wachsen würde. «Sie verliert aber schnell die Blätter und treibt im Frühling spät aus – sprich: Sie verdeckt nicht wirklich», sagt Karin Leuenberger und lacht.

Ihre jahrelange Erfahrung an verschiedenen europäischen Theatern kamen Karin Leuenberger bei der Inszenierung ihres Stadtgartens zu Hilfe. Doch da sind einige fundamentale Unterschiede: «Auf der Bühne gibt es nur eine Blickrichtung. Im Garten sind es viele. Es gibt so viele Räume, die man gestalten kann.» Dazu kommen das Werden und Vergehen der einzelnen Pflanzen und die Veränderungen in den Jahreszeiten. Soll das Bühnenbild bei jeder Vorstellung attraktiv sein, muss all dies berücksichtigt werden. Der Garten als Bühne ist nicht konstant, er durchlebt seine eigene Dynamik, und jede noch so fixe Planung muss Unvorhergesehenes einbeziehen.

Wandern

Bühnentheater, erster Akt: Möglichst alle Pflanzen treten in Gelb, Creme oder Weiss auf. Miteinander und nacheinander. Das ganze Jahr über.

«Ich weiss, dass es nicht geht»

«Hier zum Beispiel», sagt Karin Leuenberger und geht an den Rand des Sitzplatzes neben dem Haus, «hier ist ein Loch.» Vor zwei Wochen ist eines Nachmittags eine alte, von Efeu umrankte Tanne der Länge nach hingefallen. Sie ist inmitten von anderen Gehölzen gestanden und hat eine Lücke hinterlassen. Zwei Holundersträucher sollen diese nun ausfüllen – aber bis sie gross genug sind, entspricht das Bild nicht den ästhetischen Vorstellungen der Gärtnerin. Dass Perfektion im Garten nicht möglich ist, musste sie zuerst akzeptieren lernen. «Das finde ich nach wie vor schwierig. Ich strebe Vollkommenheit an und weiss, dass es nicht geht.» So lasse sie sich auch immer wieder von der Eigenwilligkeit ihrer Pflanzen überzeugen. «Die Rote Spornblume zum Beispiel versamt sich ordentlich», sagt Leuenberger, «ich lasse sie gewähren und freue mich an den neuen Bildern, die dadurch entstehen.» Wird es des Guten zu viel, greift sie ein und jätet die Sämlinge aus.

Dass ein Garten voller Überraschungen steckt, realisierte sie auch mitten in der Neugestaltung. Beim Roden stiess sie plötzlich auf eine Treppe, die das Bord hinunter in die Wildnis führte. Sie realisierte, dass der Hang unter dem Haus wohl einst auch als Garten gestaltet und aus Mangel an Pflege zu Wald geworden war. Sie legte die Treppe wieder frei, stiess an derem unteren Ende auf einen Weg und ein «Sitzplätzli» und setzte alles wieder instand. Das Bord bestückte sie mit vielen Schattenpflanzen, vor allem mit Farnen. So entstand ein im Vergleich zu den ebenen Flächen rund um das Haus ganz anderer Gartenteil: schattig und versteckt und, wenn im Juni die Glühwürmchen durch die Luft schwirren, geheimnisvoll.

Am Rand dieses Waldgartens entdeckte sie auch einen grossen Dachsbau und wusste nun, woher die nächtlichen Gäste kamen, die bei ihr im Rasen immer mal wieder grosse Löcher hinterlassen hatten. Mit einer Infrarotkamera filmte sie, wie die Dachsfamilie – zwei erwachsene Tiere mit drei Jungen – auf ihren nächtlichen Streifzügen erst den Rasen umpflügten und dann sorgfältig Würmer und andere Lebewesen aus dem Boden pickten. Wenn sie satt waren, kehrten sie ohne aufzuräumen in ihren Bau zurück. «Einfach frech», regt sich die Gartenbesitzerin auf, denn mit ihrem nächtlichen Auftritt haben die Tiere das Bühnenbild schon zigfach für mehrere Wochen gestört. Manchmal schleichen sich auch Schädlinge oder Krankheiten ein. So befiel ein Pilz die Thujahecke. Die Triebe wurden braun, ein Strauch nach dem anderen ging ein, und schliesslich musste Karin Leuenberger die gesamte Hecke ersetzen – sie wählte dafür Eibe.

Text Sarah Fasolin Fotos Nadja Athanasiou

Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #4/5 Sommer 2024.