Hausbesuch
Herrn Steiners Gespür für Holz
Es war einmal eine Wirtschaft, die keinen Wirt mehr fand. Dafür einen Mann mit grossem handwerklichem Talent, der neues Leben in die Stuben brachte – und das «Landhaus» in Tscherlach SG in ein lichtes Wohnhaus verwandelte.

Es gibt Häuser, in denen eine Seele zu wohnen scheint – ein guter Geist, der seine Bewohner sucht und findet. Auch wenn wir Menschen der Ansicht sind, dass es umgekehrt ist.
Das alte Haus am Dorfplatz von Tscherlach war hundert Jahre lang eine Wirtschaft. «z. Landhaus» steht noch heute an der Fassade. Ralph und Manuela Steiner waren dort gern und häufig zu Gast, bis der Koch und Wirt keine Zukunft mehr für sich sah. Eine umfassende Renovation stand an, die Promillegrenze liess den Umsatz zusehends schrumpfen, und das letzte Postauto, das die unmotorisierten Gäste hinunter nach Walenstadt bringen sollte, fuhr um neunzehn Uhr dreissig ab.
Entsprechend harzig verlief die Suche nach einem Nachfolger. «Wenn der Hausbesitzer niemanden findet, kaufen wir halt das schöne alte Haus», sagten die Steiners, wenn der Koch nach dem Essen zu ihnen an den Tisch kam. Ohne ernsthaft über ihre Worte nachzudenken. Das Haus aber hatte sie gehört.

Ralph Steiner, 50, mit der Parson-Russell-Hündin Glüna, 12, rätoromanisch für Mond. Rob Lewis
Warmes Holz und kühler Stein
Heute, siebzehn Jahre später, sitzen die beiden in der grossräumigen Stube – «Das war früher das Säli», sagt Ralph – und erzählen, wie sie sich von ihrer Begeisterung haben hinreissen lassen. «Wir hatten gar nicht vor, ein Haus zu kaufen», sagt Manuela und schüttelt den Kopf. Doch schon bald – es ist im August 2007 – unterschreiben sie und der Besitzer, heute ihr Nachbar, den Kaufvertrag. Ein halbes Jahr später, im Februar 2008, ziehen sie ein – mit Tim, ihrem damals zwei Jahre alten Sohn.
Ralph Steiner arbeitete als Lehrer. Werken gehörte zu seinen Unterrichtsfächern, das handwerkliche Geschick zu seinen Talenten. Einen Grosssteil der anfallenden Arbeiten nahm er selber in die Hand und entdeckte sein Gespür für Holz – «für altes Holz», wie er heute sagt. Weil es ihm Geschichten über die Natur und die Vergangenheit erzähle. «Und über die Sorgfalt, mit der es die Menschen einst ausgewählt und verarbeitet haben.» Nur bei «Nidsigend», bei absteigendem Mond, wurden die Bäume früher gefällt. Aus gutem Grund, wie Ralph Steiner sagt: «Dann fallen die Säfte, und das Holz bleibt ruhig.»
Dank seinem Geschick und seinen professionellen Helfern kommt der Umbau gut voran. Noch vor dem Winter ist er mit jedem Balken per Du und weiss, wie er ihn zur Geltung bringt. «Altes Holz schätzt starke Kontrahenten.» Seine Lebendigkeit liebe das Schlichte, seine Wärme das Kühle. Stein, insbesondere Schiefer, der im nahen Graubünden während Jahrhunderten abgebaut worden sei, passe perfekt. Im ehemaligen Säli erneuert er bewusst nur das Täfer und restauriert die Deckenbalken. Die alten Holzdielen aber – «sie wären ohnehin nicht mehr zu retten gewesen» – ersetzt er durch einen Boden aus dunkelgrauem Schiefer. Und siehe da: Stein und Holz ergänzen sich bestens. Wie ein Paar, das sich auf Anhieb versteht.

Webshopbüro mit Showroom: Aus Restholz werden schlichte Schalen, dekorative Buchstaben und Küchenbretter in allen Grössen, Formen und Holzarten gefertigt. Rob Lewis
Kochen kann er auch
Auch in der Küche mit der zum Esszimmer hin geöffneten Balkenwand ist der Stein ein idealer Partner und hilft, ein Zuviel an Holz zu vermeiden. Grosse Schieferplatten umrahmen die schlichten weissen Schranktüren, sind hitze- und wasserresistent. Ein Blick, und man weiss: In diesem Raum wird oft und gern gekocht. Nicht nur die Geräte, die Backöfen auf Augenhöhe – auch die Anordnung der Schubladen, Schränke und Freiflächen sind klare Indizien, dass hier jemand sein Handwerk versteht. «Der Koch bin meistens ich», sagt Ralph und schmunzelt. Schmorgerichte, die ihren Duft im ganzen Haus verbreiten, seien ihm die liebsten: «Braten, Ossobuco oder auch ein feines indisches Curry».
An diesem Vormittag – die Uhr zeigt erst zehn –, ist es der Duft von einem guten Espresso, der durch Küche und Esszimmer zieht. Ralph Steiner heizt die grosse italienische Kaffeemaschine ein, mahlt die Bohnen, befüllt den Kolben. Bald stehen zwei kleine weisse Tassen auf dem langen hölzernen Esstisch, den er aus der Decke eines Appenzellerhauses geschreinert hat. Die Unebenheiten und Spuren, die an eine dreihundertjährige Vergangenheit erinnern, faszinieren ihn – das Raue, Unebene und Unperfekte, das nur Altholz bietet. Der Kauf des Hauses sei ein Glücksfall für ihn gewesen, sagt er und reicht, nach ita-lienischer Manier, zwei Gläser Wasser zum starken Kaffee. Während des Umbaus sei ihm bewusst geworden, dass er für sein Leben gern mit den Händen arbeite, Möbel entwerfe und baue. «Auch wenn ich das Schreinerhandwerk nicht gelernt habe.»

Altes Holz in neuer Form: Der Sessel aus dem Atelier Manum ist Resteverwertung im besten Sinn. Rob Lewis
Die Kunst der Resteverwertung
Die Umzugskisten sind kaum ausgepackt, da macht er Nägel mit Köpfen, gibt seine Stelle als Lehrer auf und richtet sich im ehemaligen Schopf eine Werkstatt ein. Eine Maschine zum Drechseln kommt bald dazu. Das sei Ralphs Hobby, sagt Manuela Steiner, die mit dem Laptop auf dem Schoss in der Wohnstube sitzt und schreibt. Sie leitet die Liechtenstein Academy in Vaduz, eine Stiftung, die Bildungsprogramme für Firmen anbietet. Dann hält sie inne und lacht. Eigentlich sei es ja mehr als ein Hobby. «Es ist eine Leidenschaft.» Und ein perfektes Mittel zum Zweck. Die Reste, die beim Fertigen der Möbelstücke anfallen, können beim Drechseln in schöne wie praktische Dinge verwandelt werden. Wood-Waste gibt es im Haus der Steiners nicht.
In einer breiten Nische in der Nähe des Esstischs hat er für «Manum», wie er sein Label nennt, einen Showroom eingerichtet. Auch der Computer befindet sich dort. «Die meisten Bestellungen gehen heute über den Webshop ein.» In dem raumhohen, von ihm designten und gezimmerten Gestell reihen sich Küchenbretter in jeder Form und Grösse. Schnörkellose Schalen sind zum Verlieben schön, Spielklötze und Buchstaben bringen nicht nur Kinder zum Schwärmen, und die Dosen, die gerade mal wieder fehlen, sind schneller ausverkauft, als er für Nachschub sorgen kann.
So stimmt es für ihn. «Ich bin kein Auftragsschreiner», ist ihm wichtig zu sagen. Seine Kunden legen ihm weder Skizzen noch fertige Ideen vor. Sie schildern ihm, für welches Zimmer oder welche Wand sie sich ein Möbelstück wünschen. Viele haben ein Haus oder eine Wohnung in den Bergen. «Ich höre ihnen zu, schaue mir Bilder von den Räumlichkeiten an und entwerfe etwas, das ihnen gefällt und mir entspricht.»
Text Sarah Fasolin Fotos Rob Lewis
Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #7 Herbst 2024.