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Hausbesuch

Nichts mehr zu verzollen

Erst sammelten sie Vintagemöbel und Designstücke, dann fanden sie die «Vecchia Dogana» an der Grenze zu Italien. Zuhinterst im Malcantone haben Elisabetta Lazzaroni und Donato Di Blasi ihren Traum von einem Bed and Break­fast realisiert.

Dogana
Die «Vecchia Dogana» liegt etwas ausserhalb von Astano TI auf 600 Metern Höhe kurz vor der italienischen Grenze. Früher passierten Säumer die Zollstation, heute ziehen Wanderinnen und Spaziergänger am Gästehaus vorbei.

Autos, Motorenlärm, Zollstau? Fehl-anzeige. Die Strasse, an der die «Vecchia Dogana» von Astano TI liegt, ist keine Durchgangsstrasse, der grosse Grenzverkehr nicht mal ein kleiner. Nach ein paar Hundert Metern endet er in einer Sackgasse, im Nichts. Ins italienische Nachbardorf Dumenza wandert man in zwanzig Minuten zu Fuss hinunter.

1887 wurde das zweiflügelige, dreistöckige Landhaus mit dem ockergelben Verputz und den taubenblauen Läden von einem Tessiner Maurermeister gebaut und an die «Confoederatio» als Zollstation verkauft. Etwas überdimensioniert, denkt man, auch wenn die Familie des Zollbeamten ebenfalls dort lebte, denn es handelte sich ja nur um die Bewachung eines Saumpfads. Die Mulattiera führte einst von Luino am Lago Maggiore über Astano zum Luganersee. Möglicherweise wurde über den Grenzposten mehr geschmuggelt als verzollt.

Ende der Vierzigerjahre war fertig lustig. Das Zollamt wurde geschlossen und die Villa fortan als Ferienheim genutzt. Erst für erholungssuchende Zöllner und ruhebedürftige Bundesbeamte, ab 1978 für einen Architekten aus Luzern. Denn Ruhe und Natur pur sind es, was einen hier erwartet. Ein verwunschenes Seelein zum Baden und Forellenfischen, eine alte Mine mit Bach zum Goldwaschen, unzählige Wanderwege und zwei Campingplätze. Das Dorf im hintersten Winkel des Malcantone biete, was der urbane Mensch brauche, meint Elisabetta Lazzaroni: «vollkommen entspanntes Waldbaden».

Dogana

Elisabetta Lazzaroni träumte schon immer von einem kleinen Bed and Breakfast. Mit ihrem Lebenspartner Donato Di Blasi hat sie ihren Traum wahr gemacht.

Endlich angekommen

Der Wald setzt sich aus vielen Baum-arten zusammen. Die heutige Besitzerin der «Vecchia Dogana» kennt die Namen: Buche, Kiefer, Kastanie, Linde, Weide, Esche, Holunder, Steineiche, Weissdorn, Nussbaum. Denn die Bäume wuchern ihr sprichwörtlich über den Hag. Den es gar nicht gibt. Das einen Hektar grosse Gelände ist nicht eingezäunt. Die Ränder freizuschneiden, macht viel Arbeit. Einmal pro Woche wird gemäht. Es gibt Liegewiesen, Insektenwiesen, Kraftorte für Yoga und Meditation und idyllische Plätze zum Relaxen, Essen und Feiern unter Birken, Weiden oder Sternmagnolien. Rosen und Kräuter gibt es auch, aber keinen Gemüsegarten. «Dafür haben wir keine Zeit», sagt Elisabetta Lazzaroni. Man muss ja schon die Rosenstöcke mit Schafwolle vor Rehfrass schützen.

Der 51-Jährigen hatte schon lange ein Ruhepol mit ein paar Zimmern für -anregende, kreative Gäste vorgeschwebt. Ein abgelegenes Urwaldhaus in der Karibik sollte es sein. Aber dann entdeckten sie und ihr Partner in der «Piccola Toscana des Tessins», im unaufgeregten Malcantone, die passende Bleibe. Kein Wunder, fand sie die Gegend attraktiv, war das Leben der Tessiner Touristikerin doch recht abenteuerlich. Es führte sie in unterschiedlichsten Jobs nach Paris, London, Barcelona, Abu Dhabi, Genf und Locarno in die Welt des Films. «Begonnen habe ich als Fahrerin, aufgehört als Organisatorin von Produktionen», erzählt sie. Casting, Location-Scouting, Beschaffung von Drehgenehmigungen und Mitarbeit in Jurys … Nach zehn Jahren entschied sie, ihr eigenes Ding zu machen. Dieses drehte sich immer um dieselbe Vision.

Der Fotokünstler Donato Di Blasi, 55, der Kunst in Lugano und Bildhauerei an der École des Beaux-Arts in Paris studiert hat, teilt ihren Traum vom guten, entspannten Leben in der Natur. Ebenso verbindet die beiden eine ausgeprägte Liebe für modernes Design, ausgefallene Locations, verrückte Projekte und die Lust zu sammeln. Seit vierundzwanzig Jahren sind sie liiert.

Dogana

Salon mit Tessiner Vergangenheit: Das Sofa stammt aus einer Hotelliquidation, das Bild darüber aus einem Brocki, der Tisch aus einem Grotto und die Vierzigerjahrefliesen kommen aus einem Internat.

Renovation in Eigenregie

2013 entdeckten sie die «Vecchia Dogana», die bis dahin vier weitere -Besitzer erlebt hatte. «Das Gebäude war jahrelang schlecht gewartet worden», erinnert sich Donato. «Der Garten war kahl, das Grundstück verwildert, mit Schrott zugemüllt, die Fassade kaputt, nicht isoliert, von Efeu und Wein überwuchert. Es war klar, es gab viel zu tun.»

«Wir wollten die ursprüngliche Zimmeraufteilung erhalten und die Originalfarbgebung zurückholen», erläutert Elisabetta. Da die Wände nicht vorgrundiert waren, liess sich die synthetische Farbe gut ablösen. «Zum Vorschein kamen alte Farben mit wunderbarer Patina, an manchen Wänden haben wir sie belassen.» Die Sockelleisten strichen sie im ganzen Haus im ursprünglichen Taubenblau. Das eiserne Treppen- und Balkongeländer wurde erhöht, die neuen Teile schweissten sie selbst an.

In Eigenregie entfernten Elisabetta Lazzaroni und Donato Di Blasi auch die Laminatböden und fanden darunter schönes Lärchenparkett. Wo sich dessen Wiederherstellung nicht lohnte, verlegten sie Zementfliesen aus einem alten Internat in Bellinzona. Sie erneuerten die Bäder und WCs auf jeder Etage mit Secondhandausstattung, bauten neue Küchen ein, renovierten Fassade, Türen, Fensterrahmen und vieles mehr. 2018 war es schliesslich so weit: Die ersten Gäste konnten empfangen werden.

Dogana

Den Granittisch unter der Weide hat der Vorbesitzer -zurückgelassen. Er war ihm zu schwer zum Abtransportieren. Die geflochtenen Gartenstühle aus den Sechzigern fanden Elisabetta Lazzaroni und Donato Di Blasi in einer Tessiner Osteria.

Die fünf Gästezimmer haben entsprechend der alten Raumstruktur kein eigenes Bad. Die Gäste verfügen aber über einen Salon und eine eigene Küche. Wenn schon kein eigenes Bad, dann Bettwäsche vom Feinsten, fand Elisabetta. Auf hochwertiges Leinen des italienischen Textilherstellers Rivolta Carmignani legt sie Wert, seit sie es in Vals GR entdeckt hat. «Ich habe mich sofort darin verliebt.» An die edle Wäsche lasse sie niemanden, nicht einmal ihre geschätzte Hilfe aus Dumenza, die sie beim Betten, Sauber- und Frühstückmachen unterstützt.

Dogana

Sie bäckt, er steht am Herd. Das Herz der Küche bildet ein wuchtiger Chromstahlblock. Die alte Balkendecke darüber ist freigelegt und zum Schutz vor Insekten gekalkt.

Perfektes Zusammenspiel

Alle Details sind perfekt aufeinander -abgestimmt: die puristischen Betten Typ «Nyx» von Zanotta, die Regalsysteme Marke Mllmtr des finnischen Innen-architekten Johan Samuli Pöllänen oder die Stehlampen «AJ» von Arne Jacobsen für Louis Poulsen. Zur spartanisch-funktionalen Ästhetik nordischen Designs passen die gradlinigen Pulte, die Donato selbst kreiert und angefertigt hat. Auf alle Zimmer verteilen sich ikonische Sitzmöbel wie der «Butterfly»-Sessel, der «Bertoia Diamond Chair» und andere.

Designklassiker spielen hier eben eine grosse Rolle. Als gefuchste Jäger und Sammler, die sie sind, haben -Donato und Elisabetta das Gebäude mit einem Sammelsurium aus antiken Möbeln, dekorativer Grafik, bunten Gadgets, geometrisch gemusterten Stoffen und coolen Fünfzigerjahreleuchten ausgestattet. Das Zusammenspiel in der neuen Heimat funktioniert erstaunlich gut.

Jedes Zimmer ist individuell gestaltet. Dazu trägt die Bildauswahl an den Originalwänden wesentlich bei. Hier ein expressionistischer Linolschnitt, dort ein Jugendstilholzschnitt, gerahmte Seiten aus alten Kunstmagazinen oder Landschaftsszenen auf Leinwand. Immer farblich auf den Hintergrund abgestimmt. Das hat Charme. Die wahren Eyecatcher sind jedoch die faszinierenden grossformatigen Aufnahmen des Fotokünstlers.

Text Ingrid Schindler Fotos Petra Rainer

Lesen Sie die ganze Reportage in der Schweizer LandLiebe #6 Spätsommer 2024.