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Es war einmal eine Bäckerei

Die stand mitten in S-chanf GR und war dem Abriss geweiht. Bis Claudine Rindlisbacher und Peter Vann sie retteten und in ein lichtes Wohnhaus verwandelten. Mit Blick auf den Inn und in die Oberengadiner Berge.

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Zimmer mit Aussicht: In der ehemaligen Schüür ist reichlich Platz für Musse, Spiel und Kunst.

Haben Häuser eine Seele? Nüchtern betrachtet: nein. Häuser sind bewohnbare Mauern, mit Fenstern, Türen, Dach und Chämi. Mal hübsch, mal weniger hübsch gestaltet. Und doch strahlt dieses Haus etwas aus, das man bei Menschen mit Zufriedenheit umschreiben würde. Als hätte es seine Wunschbewohner gefunden und fühlte sich rundum wohl in seinen Fundamenten.

Es war im Winter des Jahres 2003, als Claudine Rindlisbacher bei ihren Spaziergängen von Zuoz nach S-chanf auf ein leer stehendes Gebäude aufmerksam wurde: die ehemalige Dorfbäckerei. Sie und ihr Mann, der Starfotograf Peter Vann, hatten schon lange von einem alten Engadinerhaus geträumt. Und nun stand eines zum Verkauf, wie sie bald darauf erfuhren. Die Lage konnte besser nicht sein: mitten im Ort, keine fünf Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Und ennet der Strasse, auf der Seite des Inns, reichte der Blick über den Fluss bis zu den Bergen. Einziger Wermutstropfen: Der Zustand des Gebäudes war miserabel. «Wer es betrat, dachte vor allem an eins: abreissen», erinnert sich Peter Vann. Claudine und er aber wollten es retten und bekamen, nach monatelanger Geduldsprobe, den Zuschlag.

Heute, fast zwei Jahrzehnte später, sitzt das Ehepaar in der weitläufigen, aus dem Heustall entstandenen Stube und blinzelt in die Sonne, die ungehindert durch das raumhohe Fenster scheint. Vanns Architekt, der aus dem Engadin stammende Christian Klainguti, ist bekannt dafür, Licht in dunkle Häuser zu bringen, ohne die historischen Gemäuer ihres Charakters zu berauben. Was bei diesem Objekt eine Herausforderung war. Die Dachbalken – gemäss Denkmalschutz stammen die ältesten aus dem vierzehnten Jahrhundert – mussten erhalten bleiben. An den Einbau von Lukarnen war nicht zu denken. Und doch ist es Klainguti gelungen, die direkt unter den Balken liegenden Räume – allen voran das Schlafzimmer – von ihrer Düsterkeit zu befreien und den Blick in den Himmel zu öffnen. Beim Erwachen sieht man auf schneebedeckte Gipfel, vor dem Einschlafen auf Millionen von Sternen.

Homestory

Drei Gebäudeteile – ein Haus: Zwischen Eingangstür (auf der Rückseite) und Stube (grosses Fenster) liegen sechshundert Jahre Engadiner Baugeschichte.

Das Haus ist auch eine Galerie

Trotz seiner Liebe zum Engadin – schon als Kind hatte Peter Vann seine Ferien in S-chanf verbracht – wollte das Ehepaar nicht für immer in den Bündner Bergen bleiben. «Wir wollten zurück nach Paris», in die pulsierende Grossstadt. «Meine Frau kommt ja von dort.» Die gemeinsame Tochter ist in Paris zu Hause. Und Peter Vann, der als Peter Rindlisbacher in Zürich zur Welt kam, ist als 20-Jähriger in die Stadt des Chansons übersiedelt, weil er als Sänger – er hatte in der Schweiz ein erfolgreiches Tanzorchester – Karriere machen wollte.

Das gelang ihm auch. Doch wider Erwarten mit der Kamera und nicht mit der Stimme. Seinem Vater zuliebe hatte er an der Kunstgewerbeschule Zürich eine Ausbildung zum Fotografen absolviert. «Lerne einen rechten Beruf, danach kannst du von mir aus singen», hatte der Papa gesagt. Was sich im Nachhinein als guter Rat erwies. Als Chansonnier in Paris zu reüssieren, blieb für den jungen Schweizer ein Wunschtraum. «Ich hatte keine Beziehungen, keinerlei Kontakte zur Musikbranche.» Dafür bald einmal einen Draht zur namhaften Pariser Presse. Seine erste Frau, die jung bei einem Autounfall starb, war Journalistin. Sie schrieb für «Le Point», interviewte Stars und Politiker aus aller Welt und motivierte ihren Mann, sein Talent als Fotograf zu nutzen. «Dank ihr hatte ich die spannendsten Menschen jener Zeit vor der Kamera – Jean-Paul Sartre, Willy Brandt, Jane Birkin – und konnte den ganzen Erdball bereisen.» Erst recht, als die Automobilindustrie auf ihn aufmerksam wurde und ihn als Fotograf für ihre Luxusboliden engagierte. Grossformatige Bildbände dokumentieren seinen internationalen Erfolg, «der es mir ermöglichte, dieses schöne alte Haus zu erwerben».

Beide Leidenschaften – die Musik und die Fotografie – haben in den grosszügigen Räumen Platz gefunden. Vanns CD-Sammlung füllt ein meterlanges Gestell in der Stube. «Das Gebäude ist so gut isoliert – da kann ich aufdrehen, bis die Wände wackeln.» Seine Fotografien zieren zahlreiche Wände. Zurzeit auch in der Galerie, die er und seine kunstaffine Frau in zwei Räumen des Hauses eingerichtet haben. «Die besten Engadiner Fotos von Peter Vann» heisst die aktuelle Ausstellung, eine Liebeserklärung an seine Wahlheimat. Denn S-chanf, als Domizil auf Zeit gedacht, ist inzwischen zu einem Zuhause geworden. Den einstigen Plan, nach Paris zurückzukehren, hat das Paar verworfen. «Wir lieben Paris», sagt Claudine . «Doch der Ort, an dem wir wohnen wollen, ist S-chanf.»

Zu ihren Lieblingsplätzen im Haus gehört ein viereinhalb Meter langes Sofa, in dessen linke Ecke sich Claudine gerne schmiegt. Peter sitzt ihr in der rechten gegenüber– wie weiland die Schlossherren an der meterlangen Tafel. Das Sofa sei ein Scheidungskind, erzählt Claudine dessen Geschichte. Freunde hätten nach der Trennung ihr grosses Haus auflösen müssen, «und wir waren die einzigen, die Platz für ein Möbelstück von solchen Ausmassen hatten».

Auch die Küche, zwischen Stube und Esszimmer gelegen, bietet Platz für eine ganze Brigade. «Die Möbel aus Chromstahl haben wir in einem Hotel gesehen und wussten sofort, dass sie wunderbar in ein altes Engadinerhaus passen», sagt Peter Vann. Zumal seine Frau eine ausgezeichnete Köchin sei. «Ich hingegen esse nur.» Am liebsten an der gastfreundlich langen Tafel, die er zusammen mit Christian Klainguti entworfen hat. Ein Schreiner aus der Region hat sie gezimmert, wie die Stühle und das schlichte Doppelbett im Schlafzimmer. «Uns war wichtig, für alles Neue authentische, zur Region passende Materialien zu verwenden.» In diesem Fall: Lärchenholz und Eisen.

 

Text Karin Oehmigen Fotos Catherine Gailloud

Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #1/2024. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.

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