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Altes Handwerk

Die Buchrestauratorin aus Rapperswil SG

Um Bücher am Leben zu erhalten, muss Monika Raymann mehr als nur ein einziges Handwerk beherrschen. Dazu ist ihre Arbeit äusserst wissenschaftlich – eine stete Zeitreise.

Buchrestauratorin Monika Raymann am Bearbeiten eines Buches
Zwei bis drei Monate bleibt ein Buch zur Restaurierung in Monika Raymanns Werkstätte. Meist sind die Werke mehrere hundert Jahre alt.

Mit Morsezeichen hatten sich die beiden Mädchen an jenem Abend verabredet. Mittlerweile waren sie angekommen. Jetzt endlich, dem Ziel so nah, konnten sie es kaum erwarten. Das Ruderboot schaukelte noch immer heftig in den Heckwellen des Dampfschiffs. Einen ruhigen Stand zu wahren, erschien beinahe unmöglich. Doch nur so schaffte es die eine, auf den Schultern der anderen stehend, einen Blick ins Innere zu erhaschen. «Und, siehst du sie? Siehst du die Totenköpfe?»

Noch immer muss Monika Raymann, 51, lachen, wenn sie diese Geschichte erzählt. Die Geschichte von ihr und ihrer besten Freundin, wie sie sich mit dem Ruderboot auf zum «Heilig Hüsli», der ehemaligen Brückenkapelle in Rapperswil SG, machten – um die Totenköpfe zu sehen, die dort angeblich von der Decke hingen. Eine Begebenheit, die 40 Jahre zurückliegt und so lebendig erscheint wie eh – dank dem Eintrag der Jugendfreundin in Monika Raymanns Poesie-Album. «Sehen Sie», sagt die Buchrestauratorin und schliesst das rote Büchlein mit den goldenen Schmetterlingsmotiven auf dem Einband, «darum will ich Bücher erhalten. Sie sind Zeitzeugen und erzählen von Dingen, die sonst vergessen gehen.»

Zahlreichen Techniken der Buchbinderzunft

Die zahlreichen Techniken der Buchbinderzunft zeugen von immensem Erfinderreichtum und grosser Ausdauer.

Buch-Restauratorin Monika Raymann

Von Papier fasziniert: Monika Raymann liebt Materialien, die es ihr möglich machen, sie zu retten.

Eine grosse Verantwortung

Flecken, Risse, zerfledderte Seiten, ein offener Rücken – ihre Patienten warten meist mit mehreren Symptomen gleichzeitig auf. Eine akkurate Bestandesaufnahme zählt denn auch zum ersten und meist zeitintensivsten Schritt, wenn Monika Raymann ein Buch zur Restaurierung in ihrem Atelier in Kempraten SG überlassen wird. Zuvor lässt sie sich gerne die Geschichte des Buches erzählen.

Privatpersonen vertrauen ihr die Familienbibel, Gesangs- und Gebetsbücher an, Bibliotheken und Museen überlassen ihr vertrauensvoll 200 bis 300 Jahre alte Werke. Eine grosse Verantwortung, dessen ist sich Monika Raymann bewusst.

Buch-Restauratorin Monika Raymann säubert ein Buch

Es erinnert an einen Besuch beim Zahnarzt: Um ein Buch zu säubern, wird gesaugt, gekratzt, radiert – so behutsam wie möglich.

Löffel, Pinsel, Skalpelle, feine Scheren und kleine Haken

Monika Raymann arbeitet mit allem, was minimalinvasive Eingriffe zulässt: Pinsel in diversen Grössen, Skalpelle, feine Scheren und kleine Haken.

Der Bücher grösster Feind

Ein Brand in der Werkstätte ist folglich ihr Albtraum. Die grössten Feinde des Buches sind aber nicht etwa Feuer, Wasser, Licht, Tintenfrass, Schimmelpilz, Bücherwurm, Silberfische und andere Schadinsekten – es ist der Mensch. Denn er löst die meisten Schäden selber aus.

In Monika Raymanns Atelier stehen deshalb weder Esswaren noch Getränke herum.

Arbeitsplatz von Buch-Restauratorin Monika Raymann

Fast schon steril mutet Monika Raymanns Werkstätte an – doch Esswaren und Getränke am Arbeitsplatz sind tabu.

Zeitzeugen der Kultur

Es sind jedoch nicht nur freudige Überraschungen, die Bücher für Monika Raymann bereithalten. Manchmal überkommt die Restauratorin Mitleid, manchmal Zweifel. Manche Werke haben sehr gelitten, bei anderen hingegen fragt sie sich, ob sie überhaupt überleben sollten. Dann ist Monika Raymann froh, dass sie kein Lateinisch versteht. Wie kürzlich, als sie an einem Werk voll mit Skizzen und Zeichnungen über Foltermethoden arbeitete.

Doch genau hier liegt für Monika Raymann der Sinn ihrer Tätigkeit. Das Buch gilt als Zeitzeuge unserer Kultur, und sein Fortbestehen hilft, diese zu schützen und zu hinterfragen – um im besten Fall daraus zu lernen.

Buch-Restauratorin Monika Raymann verschliesst Risse in einem Buch

Risse verschliessen gehört zu den liebsten Arbeitsschritten von Monika Raymann.

Haare für die Wissenschaft

Bei handschriftlichen Werken erstellt Monika Raymann gleich zu Beginn ein Lageprotokoll. Seite für Seite arbeitet sie sich dafür durchs Buch. Auf dieser Entdeckungsreise findet sie manchmal getrockneten Glücksklee, alte Fotografien, romantische Postkarten und immer ganz viel Schmutz – Haare und Fingernägel inklusive. Einer Putzfrau gleich geht sie danach an die Trockenreinigung. Mit dem Sauger werden Sand und Staub entfernt. In einem Nylonstrumpf sammelt Monika Raymann diese Rückstände, um sie später mit dem Restaurierungsprotokoll dem Auftraggeber zurückzugeben: «Für die Wissenschaft sind Haare aus einem Werk des Reformators Zwingli von Bedeutung.»

Text: Bettina Bono
Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #8 Januar, Februar 2019. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper

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Stichworte: Reportage