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Schirme mit Charme

In Uznach SG steht die letzte Regenschirmfabrik der Schweiz

Die einzige Schweizer Regenschirmfabrik mit eigener Produktion steht in Uznach SG. Dort hält Familie Strotz seit fünf Generationen die Schirmmacher-Tradition am Leben.

Regenschirm ausgebreitet in der Regenschirmfabrik Uznach
Ein Schirm besteht aus dreihundert Teilen. Dazu gehören die Stoffsegmente, die mit Kreide und Schablonen aufgezeichnet und dann mit der Schere ausgeschnitten werden.

Der Himmel leistet ganze Arbeit an diesem grauen Morgen in Uznach SG. Just als wir an der Herrenackerstrasse 16 ankommen, klopfen die ersten Regentropfen an die Autoscheibe. Dieser nasse Empfang könnte passender nicht sein, denn wir besuchen die einzige Regenschirmfabrik der Schweiz. «Das Wetter haben wir natürlich extra so bestellt», begrüsst uns Andrea Strotz augenzwinkernd. Nun, wer weiss, vielleicht hat die Ostschweizer Familie tatsächlich den einen oder anderen guten Draht zu den Wettergöttern – quasi als Dienstaltersgeschenk für ihre mittlerweile jahrhundertelange Schirmmachertätigkeit.

Team der Schirmfabrik Uznach: Edgar, Andrea und Roman Strotz (von links)

Eine gut beschirmte Familie: die vierte und fünfte Generation mit Edgar, Andrea und Roman Strotz (von links).

«Ich habe mehr Schirme als Handtaschen»

Den Grundstein für das bis heute von Familienhand geführte Unternehmen legte Arnold Strotz. 1851 eröffnete der Schirmmacher nach seiner Lehre in Uznach eine eigene Werkstatt und bot seine handgemachten Einzelstücke den Geschäften in der Region und bald auch landesweit an. Die Nachfrage stieg, das familiäre Engagement blieb: 1954 entstand unter der Leitung von Karl Strotz-Büchli das heutige Fabrikationsgebäude im Herrenacker. «Ab da waren kleine Serienproduktionen möglich», erzählt Andrea Strotz und öffnet die Tür zu den Produktionsräumen. Sie kennt diese Welt aus Stoffen, Gestellen, Griffen von Kindesbeinen an wie ihre Westentasche. «Bis heute habe ich zu Hause deutlich mehr Schirme als Handtaschen», sagt sie lachend, sie seien ein unverzichtbares modisches Accessoire. Zusammen mit ihrem Cousin Roman Strotz ist sie die fünfte Generation am Ruder; auch Andreas Vater Edgar Strotz ist noch in der Geschäftsleitung eingebunden.

Teamarbeit: Anna D’Ascoli (rechts), Ismahan Tasdemir, Aferdita Pjetraj

Konzentrierte Teamarbeit: Anna D’Ascoli (rechts) bringt die Spitzchen an, Ismahan Tasdemir fixiert das Gestell, Aferdita Pjetraj macht die letzte Kontrolle.

Achttausend Regenschirme pro Jahr

Jährlich verkauft die Firma siebenhunderttausend Schirme ihrer beiden Marken Strotz und Knirps; Letztere – die international bekannte Taschenschirmmarke – gehört ihr zusammen mit ihrem österreichischen Partner Doppler Schirme seit 2004. Nicht immer waren Strotzs hierzulande allein auf weiter Schirmmanufaktur-Flur. In den Hochzeiten gab es um die dreissig Firmen, bis die Entwicklung zur industriellen Massenproduktion und ausländische Mitbewerber manchen früher, manchen später zum Verhängnis wurden. Auch die Strotz AG musste reagieren und verlagerte Ende der Achtzigerjahre den Grossteil ihrer Produktion nach Fernost. Ohne diese Massnahme würde der Uznacher Standort heute wohl ein etwas anderes Bild abgeben als bei unserem Besuch: Die insgesamt sieben Produktionsmitarbeitenden haben an ihren Stationen wortwörtlich alle Hände voll zu tun. Achttausend Exemplare stellen sie hier jährlich her, davon jeweils zwischen zwei- und viertausend Regenschirme (je nachdem eben, wie die Wettergötter gestimmt sind …), der Rest sind Sonnen- und Gartenschirme.

Ausgebreites Schirmsegment

Ein Schirmbezug besteht aus acht gleich grossen Stoffsegmenten, die sorgfältig eins nach dem anderen an der Maschine zusammengenäht werden.

In vierzig Minuten zum Schirm

Zu den Kunden gehören nebst dem Detailhandel vor allem Firmen, die Wert auf hochwertige Werbe- und Geschenkschirme legen. Die Materialien stammen wann immer möglich aus der Nähe – im Schirmstoffbereich zum Beispiel ist das mittlerweile Norditalien, Schirmgestelle gibt es allerdings nur noch aus Fernost. Das «Swiss made»-Label tragen die Produkte, weil mit der Fertigung der grösste Teil der Mehrwertschaffung in den Uznacher Produktionsräumen geschieht. Und diese läuft im Grundsatz, mit Unterstützung von einigen Spezialmaschinen, immer noch genauso wie bei Arnold Strotz anno 1851 ab. Um die vierzig Minuten dauert die Fertigung vom ersten bis zum letzten Handgriff – gerade so lange wie die Zugfahrt von Aarau nach Basel.

Verschiedenfarbige und -mustrige Stoffrollen für Regenschirme

Einer der ursprünglichsten Baumwollstoffe für Schirme: Der Tessiner Stoff mit typischem Streifenmuster kommt heute vor allem bei Zunftschirmen zum Zug.

Schneiden, Stanzen, Säumen

Anna d’Ascoli steht hoch konzentriert am Arbeitstisch, hinter ihr ein grosses Holzgestell voller Stoffrollen in den verschiedensten Farben und Mustern: von uni bis bunt, von geblümt bis gestreift, von kariert bis gepunktet. Als gelernte Damenschneiderin gehört der erste Schritt, das Zuschneiden der einzelnen Stoffsegmente, zu ihren Herzensarbeiten.

Acht Stück davon braucht es für einen Schirm. Sorgfältig legt sie die dreieckige Kartonschablone auf den ausgebreiteten Karostoff, stellt je einen Beschwerer auf den oberen und den unteren Stoffrand und zeichnet mit weisser Kreide die Form nach.

Langschirme in Reih und Glied warten auf den letzten Schliff

In Reih und Glied warten diese Langschirme darauf, in der Werkstatt den letzten Schliff und damit einen passenden Griff zu bekommen.

Statussymbol Schirm

«Je nach Design ist es eine Frage von Millimetern, wie ich die Schablone auflegen muss, damit die Segmente später beim Annähen richtig zusammenpassen», sagt Anna d’Ascoli. Als ein Schirm noch kein Regenschutz war, sondern ein Statussymbol, das man sonntags, schön gekleidet, ausführte, dienten Seide und Baumwolle als Material. Heute wird in Uznach vor allem imprägnierter Polyester verwendet – für Spezialaufträge wie Hochzeits- oder Zunftschirme kommt manchmal aber noch immer Naturgewebe zum Zug.

Text: Sabrina Glanzmann
Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #2 Mai/Juni 2020. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper. 

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Stichworte: Reportage