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Im Land der Düfte

Provence? Non, Berner Provinz!

Neun Bauern produzieren im Oberaargau ätherische Öle aus Blumen und Kräutern – auch aus Schweizer Lavendel. Sie destillieren die Aromen direkt auf dem Hof und veredeln damit eine Pflegelinie, die in der ganze Welt daheim ist.

Lila Lavendelfeld in Kleindietwil BE mit Bäumen

Lavendel aus Wangen an der Aare BE

Mal ehrlich: Wer von uns kann an einem Lavendelstrauch vorbeigehen, ohne mit der Hand durch seine Blüten zu streichen? Wir riechen an den Fingerkuppen, schliessen die Augen und sehen in Gedanken die üppigen violetten Felder in der Provence. Wir atmen den schmeichelnden Duft ein – und denken, ganz in Ferienstimmung versunken, an ein Glas Pastis mit Eiswürfeln. Nun, diese Geschichte hier beginnt zwar auch an einem heissen Ort, aber nicht im Südosten Frankreichs, sondern in der Sauna auf dem Hof der Familie Hess in Wangen an der Aare BE. Damals, vor fast zwanzig Jahren, sitzen dort ein paar Bauern beim Männerabend und sinnieren über die sinkenden Preise für ihre Waren und die immer mehr auf den Markt drängenden ausländischen Produkte. Sollen sie trotz allem auf dem eingeschlagenen Weg bleiben oder etwas Neues ausprobieren? Beim Aufguss mit den Fichtennadeln aus Finnland macht dann die entscheidende Frage die Runde: Wir haben doch selber Bäume – warum also kommt diese Essenz hier aus dem hohen Norden? Und überhaupt: Natürlich, ätherische Öle aus Pflanzen gewinnen – das wär doch was!

Landwirt Roland Friedli erntet seinen Lavendel in Bettenhausen

Bei Bettenhausen erntet Landwirt Roland Friedli seine Pflanzen sorgfältig, denn der verholzte Stock muss heil bleiben.

Schmetterling auf Lavendel im Oberaargau

Sein Geruch vertreibt Mücken; Schmetterlinge hingegen scheinen den Lavendel zu mögen.

Handarbeit und Pflege bei der Lavendelernte

Heute ist Destilliertag, und Roland Friedli erntet seinen Lavendel. Frühmorgens macht er sich auf seinem Feld bei Bettenhausen an die Arbeit – an die Handarbeit. «Wir können hier nicht mit dem Traktor reinfahren und maschinell mähen», erklärt der Landwirt. Denn der unterste, verholzte Teil jeder Staude muss unverletzt stehen bleiben, sonst erfrieren die Pflanzen im folgenden Winter. Abgesehen davon ist sein Lavendel (Lavandula angustifolia) aber pflegeleicht: «Ich habe ihn mit der Gemüsesetzmaschine gepflanzt und in den ersten zwei Jahren intensiv gejätet.» Mittlerweile sind die Stauden so dicht gewachsen, dass Roland Friedli nur noch ab und zu das Gras rausschneiden muss – das ist alles. Insgesamt fünfzehn Aaren seines Landes leuchten jeweils im Juni und Juli prächtig violett, weiter wachsen auf seinen Feldern auch Rosenmelisse (Monarda fistulosa) und Muska tellersalbei (Salvia sclarea) – alles in Bio-Qualität. «Rund fünf Prozent meines Umsatzes kommen heute aus dem Anbau dieser Pflanzen.» Ansonsten lebt er von Ackerbau und Rindermast, sorgt für den Winterstrassendienst und holzt.

Flüssiges Gold nach der Destillation – Lavendelöl (obere Schicht), Hydrolat (unten)

Flüssiges Gold nach der Destillation – Lavendelöl (obere Schicht) riecht süsslich und blumig, weniger intensiv ist das Aroma im Hydrolat (unten)

Lavendelöl-Gewinnung

Nach erwähntem Männer-Saunaabend machen sich die Landwirte im Internet schlau und beginnen, mit dem Anbau und der Verarbeitung geeigneter Pflanzen rumzupröbeln. Die treibende Kraft dahinter ist Fritz Hess, der weitere Kollegen für die Idee gewinnt und herausfindet, dass ätherische Öle am besten mit Wasserdampf aus den Pflanzen zu holen sind. Über den abgemähten Stauden auf dem Feld von Roland Friedli liegt eine Duftwolke, die unsere Nasenflügel zum Beben bringt – es riecht frisch und warm und irgendwie nach Grosis Wäscheschrank (ja, Düfte lösen bekannterweise Erinnerungen aus …). Der Landwirt hat mittlerweile eine erste Wagenladung mit Lavendel gefüllt und fährt damit auf den Hof der Familie Hess. Hier befindet sich die Destillationsapparatur, ausgestattet mit vielen Rohren, Ventilen und Rädchen, und der kleine Dampferzeuger daneben brummt bereits startbereit. Irgendwie erinnert dieser Anblick ein wenig an die Experimente der Alchemisten von einst, die ihren Herrschern stets versicherten, dass sie Gold herstellen können. Hier ein Räuchlein, da eine Dampffahne. Und alle geraten ins Staunen. Der Gelehrte in diesem Freiluftlabor ist Christoph Hess, 30. Er macht heute auch Gold – flüssiges Gold in Form von Lavendelöl. 2017 hat er den Betrieb übernommen und macht mit genauso viel Herzblut weiter, wie sein Vater Fritz einst gestartet ist. «Ich habe schon immer mitgeholfen und war in die Entscheide involviert», erzählt der Junior und zeigt uns stolz die Destillationsapparatur. Nein, so erstehen könne man dieses Teil nirgends. Es ist hier auf dem Hof aus zusammengekauften Anlagen und einzelnen Bestandteilen in Marke Eigenbau entstanden.

Landwirt Christoph Hess stopft den Lavendel für die Destillation kompakt in die Chromstahlkessel.

Landwirt Christoph Hess stopft den Lavendel für die Destillation kompakt in die Chromstahlkessel.

Text: Christine Zwygart

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Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #4 Juli / August 2019
Cover Schweizer LandLiebe #4 Juli/August 2019
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