Geschickt eingefädelt
Zu Besuch im Nähmaschinen-Museum in Dürnten ZH
Roni Schmied und Tino Jaun hegen, pflegen und sammeln Nähmaschinenschätze aus aller Welt. In ihrem Museum in Dürnten ZH plaudern sie für uns aus dem Nähkästchen.
Mit Nähmaschinen ist das so eine Sache. Da gibt es zum einen die eingefleischten Hobbynäherinnen und -näher, die in jeder freien Minute auf Tuchfühlung mit dem Gerät ihres Vertrauens gehen. Da gibt es zum anderen Frauen aus den verschiedensten Generationen, die beim Thema Handarbeitsunterricht die Hände verwerfen und sogar von einem Trauma sprechen, wenn sie an ihre «Handsch»-Lehrerin und deren knifflige Aufgaben zurückdenken. Und nicht zuletzt gibt es da natürlich Männer, die sich beim Thema Nähen und allem, was dazugehört, herzlich wenig angesprochen fühlen.
Nun, wenn Sie zu einer der letzten beiden Gruppen gehören, werden Sie beim Stichwort Nähmaschinen-Museum vermutlich nicht gerade Freudensprünge machen. Dass sich ein Ausflug aber garantiert auch für Nähmuffel lohnt, zeigt uns ein Besuch inklusive Führung mit den Museumsleitern Roni Schmied und Tino Jaun auf eindrückliche und oft auch überraschende Art und Weise. Wussten Sie zum Beispiel, dass Schreibmaschinen und Autos erst dank der Nähmaschinenproduktion entstanden? Oder Leasingverträge? Ja, sogar die Pizza Margherita hat etwas mit den mechanischen Wundermaschinen zu tun! Die Ausstellung vereint wichtige Teile der Technik-, Industrie- und Kulturgeschichte, von denen wir bis heute die Auswirkungen spüren. Nichts wie auf nach Dürnten also, wo so einige «Ahs» und «Ohs» auf uns warten.
Ein Trio für alle Nähfälle: Tino Jaun (links) und Roni Schmied mit ihrem Hund Faro, der sich in jeder Ecke und jedem Winkel des Museums ebenfalls bestens auskennt. Lorenz Cugini
Hereinspaziert ins Reich von Tino Jaun und Roni Schmied! Vor dem Eingang empfängt die erste, schon etwas rüstigrostige Maschine die Besucher. Lorenz Cugini
Spinnerei aus Berufung
Nach einer gemütlichen Zug- und Busfahrt ins Zürcher Oberland sind wir im Grundtal, dem schmucken Landstrich zwischen Rüti und Wald, angekommen. Das stattliche Gebäude am Waldrand von Dürnten steht ziemlich alleine da auf weiter Flur, nur ein Schreinereiareal liegt auf der anderen Strassenseite. Als Erstes begrüsst uns Faro, der quirlige Hund des Hauses, stürmisch und stiehlt uns damit gleich unsere Herzen. Mit seinen beiden Herrchen Tino Jaun und Roni Schmied wohnt er hier an einem geschichtsträchtigen Ort. «Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich drüben in der Schreinerei eine Seidenspinnerei, und das Haus hier war das dazugehörige Fuhrmannshaus und die Remise. Heute würde man Garage sagen», erzählt Tino Jaun, während Faro herumspringt und ganz aufgeregt mit dem Schwanz wedelt. Der kleine Charmeur will uns endlich zeigen, was es in dieser «Garage» alles zu entdecken gibt – schliesslich ist das eine ganze Menge.
Kristallkronleuchter, antike Möbel, Dekorationsobjekte: Der Laden direkt unter dem Museum lädt zum Entdecken und Staunen ein. Lorenz Cugini
Ein Wimmelbildladen
Der erste Raum im Erdgeschoss ist ein Paradies aus Möbeln, Lampen, Dekorationselementen und Bildern. Wie bei einem Wimmelbild suchen sich die Augen lustvoll ihren Weg, und wir staunen, wie viele Trouvaillen hier hängen und stehen. Roni Schmied und Tino Jaun teilen die Leidenschaft, im In- und Ausland auf die Jagd nach antiken Objekten zu gehen und diese sprichwörtlich wieder aufzumöbeln. Als gelernter Möbelschreiner restauriert Roni Schmied die Fundstücke sorgfältig in seiner Werkstatt, damit sie im Wimmelbildladen bald wieder auf ihren nächsten Besitzer oder die nächste Liebhaberin warten können. «Ich habe es wohl einfach im Blut, antike Schätze aufzuspüren. Spinnerei aus Berufung nenne ich das», sagt Roni Schmied lachend, als wir auf der Wendeltreppe nach oben gehen, wo sich das Museum befindet.
Roni Schmied und Tino Jaun nennen sie das «Wunderwerk der Mechanik»: Die Kurbelstickmaschine näht kunstvolle Pailettenbänder oder Kordeln an. Mit der Kurbel lässt sich die Transportrichtung des Stoffs steuern. Lorenz Cugini
Im grosszügigen Garten können Museumsgäste auch einen gemütlichen Apéro geniessen. Lorenz Cugini
Der Zufall spielt mit
Als Elfjähriger rettete Roni Schmied seine erste mechanische Nähmaschine aus einem Abfallcontainer. Er erinnert sich: «Unsere Nachbarin zeigte mir dann, wie sie funktioniert. Ausserdem wusste sie von einem anderen Haus in Abriss, wo vermutlich weitere Maschinen standen. Von da an hatte es mich gepackt. Tja, und heute sieht man ja, was daraus entstanden ist!» Entstanden ist in der früheren Heubühne der Remise ein Museum mit 200 Haushalts-, Industrie- sowie Spielzeugmaschinen aus aller Welt. Weitere 180 Exemplare warten im Lager darauf, für Wechselausstellungen «zwäggemacht» zu werden. Natürlich durchforsten die beiden Kenner mittlerweile nicht mehr (nur) Entsorgungsorte oder Brocantes: Es gibt internationale Sammlerclubs und -börsen, auf Facebook tauscht man sich in spezifischen Gruppen aus, das Netzwerk ist klein, aber fein. «Der Wissenstransfer, der etwa in unserer eigenen Gruppe statt findet, ist einfach genial!», freut sich Tino Jaun.
Nomen est omen: Die «Bijou No. 1» wurde im Jahr 1870 in Frankreich hergestellt. Dank ihren grosszügigen schmuckvollen und glänzenden Einlagen aus Gold und Perlmutt zieht sie garantiert alle Blicke auf sich. Lorenz Cugini
Die «Rebsamen 1» ist die älteste Nähmaschine aus Schweizer Produktion. Albert Rebsamen baute sie 1864 in Hadlikon-Hinwil – heute steht sie in Dürnten nur fünf Fahrminuten entfernt im Museum. Lorenz Cugini
Die älteste Schweizerin
Oft spielt auch der Zufall zünftig mit: Jahrelang kursierte zum Beispiel von der «Rebsamen 1», der ältesten Maschine aus Schweizer Produktion, nur noch ein altes Bild. Unter Kennern war man sich einig, das davon wohl kein Exemplar mehr existierte. Bis Roni Schmied rein zufällig beim Aufräumen ein Foto von sich fand – als Dreizehnjähriger bei einem Sammler zu Besuch. Auf diesem Foto glaubte er, eine «Rebsamen 1» entdeckt zu haben – und ging auf der Suche danach von Pontius zu Pilatus, denn besagter Sammler war längst gestorben. Sie ahnen es: Der hartnäckige Fan fand die Maschine. Und jetzt geniesst sie in der Sammlung als «älteste Schweizerin» einen Ehrenplatz.
Text: Sabrina Glanzmann
Dieser Artikel erschien in der Schweizer LandLiebe #1 März/April 2020. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.