Wandern
Märchenhafte Moorlandschaft
Die Zentralschweiz ist reich an farbenprächtigen Moorgebieten. Eines der schönsten liegt am Glaubenberg. Die Bergwanderung zum Gipfel des Fürstein führt quer durch eine zauberhafte Landschaft.
Saftig schmatzt der Boden unter unseren Sohlen, während wir im Wald gegen den Rickhubel aufsteigen. Es sind bereits drei Tage her, seit es das letzte Mal geregnet hat, doch die Erde zeigt sich wie ein nasser Schwamm. Mit dem Postauto sind wir auf den Glaubenbergpass gefahren, von dort zuerst ein paar hundert Schritte auf einem Asphaltsträsschen marschiert und dann auf den Naturpfad abgezweigt, der sich nun zwischen Nadelbäumen und Riedgrasflächen den Hang hochzieht.
Wo auch immer wir den Schuh hinsetzen, füllen sich die Fussabdrücke sogleich mit Wasser. Der Boden ist zwar nicht gerade glitschig, trotzdem sind wir froh, dass wir das nasse Wegstück nicht im Abstieg zu bewältigen haben. Es ist eine typische Eigenschaft von Moorgebieten: Regenwasser fliesst dort nicht in tiefere Bodenschichten ab, sondern verbleibt nahe an der Oberfläche. Dies führt zu ganz speziellen Lebensbedingungen: In einem Moor können abgestorbene Pflanzen nicht zu Humus abgebaut werden, sondern zersetzen sich zu Torf. Dadurch vergrössert sich das Volumen des Moors. Das geht jedoch extrem langsam vor sich: Die Torfschicht wächst bloss um einen Millimeter pro Jahr. Bis sie um einen Meter zunimmt, dauert es also ein volles Jahrtausend.
Unwirklich schön: Noch zieht ein Wolkenband über die Alpengipfel. Doch da und dort setzt sich die Sonne schon durch und verheisst uns einen unvergesslichen Wandertag. Thomas Senf
Wertvolle Lebensräume
Moore zählen zu den wertvollsten Lebensräumen der Schweiz, denn sie beherbergen eine Vielzahl gefährdeter Tier-und Pflanzenarten. Weil sie als unproduktive Böden galten, wurden sie seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts vielerorts grossflächig entwässert und damit bleibend zerstört. Der Torf wurde teilweise in industriellem Ausmass abgebaut und als Brennstoff sowie zur Bodenverbesserung im Gartenbau genutzt.
Heute jedoch sind Moorgebiete zum Glück streng geschützt. Ermöglicht hat dies die Armee, allerdings ungewollt: In den Achtzigerjahren hielten ihre Planer hartnäckig am Projekt eines Waffenplatzes in Rothenthurm SZ fest. Das Vorhaben hätte die dortigen ausgedehnten Moore stark beeinträchtigt. Um dies zu verhindern, lancierten Natur-und Landschaftsschutzkreise eine Volksinitiative. In der Abstimmung wurde das Begehren überraschend klar angenommen.
Seither werden Moore nicht nur in Rothenthurm, sondern auch in vielen anderen Gegenden der Schweiz vor jeglichen Eingriffen bewahrt. Das Gebiet Langis-Glaubenberg zwischen Sarnersee und Entlebuch gehört ebenfalls dazu. Mit seiner Fläche von hundertdreissig Quadratkilometern – mehr als die Fläche des Vierwaldstättersees – gilt es als grösste Moorlandschaft der Schweiz. Mittendrin liegt der 2040 Meter hohe Gipfel des Fürstein, der höchste Punkt unserer Tour.
Wir gewinnen zügig an Höhe. Schon bald lassen wir den Wald hinter uns, betreten Alpweiden und geniessen einen wunderschönen Ausblick: Mitten im Weideland steht eine kleine Alphütte, dahinter zeichnen sich die Silhouetten grosser Tannen dunkel gegen den Horizont ab. Der Himmel ist noch bewölkt, doch über den Alpengipfeln reisst die Wolkenschicht bereits auf. Erste Sonnenstrahlen beleuchten da und dort die Berge und bieten uns ein stilles, aber eindrückliches Schauspiel.
Der Höhepunkt rückt näher: Vom Rickhubel wirkt der Gipfel des Fürstein (2040 m, links im Bild) bereits zum Greifen nah. Thomas Senf
Erstes Gipfelerlebnis
Nun auf trockenem Boden geht es weiterhin ordentlich steil aufwärts. Lichte Bestände von Bergföhren säumen unseren Weg. Als wir die Kuppe des Rickhubels erreichen, geniessen wir ein erstes Gipfelerlebnis: Zu unseren Füssen öffnet sich eine weite Aussicht zu den Urner, Obwaldner und Berner Alpen. Jetzt tritt auch der Fürstein in Erscheinung. Sein Gipfel liegt noch einmal gut hundert Meter höher. Wir können den Pfad erkennen, der uns hinaufführen wird.
In einem grossen Bogen durchqueren wir den oberen Teil der Alp Ober-Sewen und damit eine prächtige Moorlandschaft. Vor uns breiten sich Grasflächen aus, die von kleinen Hügeln mit Wacholder-und Heidelbeersträuchern durchzogen sind. Linker Hand senken sie sich in eine weite bewaldete Mulde. Auf dem ganzen Abschnitt bis zum Gipfel haben wir das wunderschöne Moorgebiet vor Augen. Zugleich öffnet sich gegen Norden hin die Sicht ins Tal der Entle und zur Pilatuskette. Wir geniessen somit beidseits unseres Wegs eine fantastische Aussicht.
Vollends uneingeschränkt ist das Panorama auf dem Fürstein. Eine einfache Holzbank auf dem Gipfel lädt zur Rast. Während des Picknicks können wir uns kaum sattsehen am reichhaltigen Gipfelkranz, der sich am Horizont ausbreitet: Die Sicht reicht vom Säntis über die Glarner und Urner Alpen bis zu Eiger, Mönch und Jungfrau. Westlich davon blicken wir ins Tal der Waldemme, das von Brienzer Rothorn und Schrattenfluh umschlossen ist. Im Vordergrund zeigt sich das anmutige Ensemble von Riedflächen und Bergföhren, das sich in die Südflanke des Fürstein schmiegt. Mittendrin liegt das Sewenseeli. Der Bergsee ist unser nächstes Zwischenziel.
Moorlandschaft aus dem Bilderbuch: Der Sewenbach schlängelt sich gemächlich talwärts. Thomas Senf
Traumbild oder Wirklichkeit?
In steilem Abstieg gelangen wir in den Sattel, der sich zum benachbarten Chli Fürstei senkt, und wandern dem Sewenbach entlang abwärts. Unverbaut schlängelt sich der Wasserlauf zwischen Steinblöcken, knorrigen Bäumen und grasüberwachsenen kleinen Hügeln talwärts.
Bei der Alphütte von Ober-Sewen öffnet sich vor unseren Augen ein fast unwirklich schönes Bild: Wald und Weideland umgeben den kleinen Moorsee, davor steht eine zierliche Kapelle. Die Sewenalp war einst ein Höhenkurort mit Kurhaus und verschiedenen Nebengebäuden. 1974 verkaufte die Älplerfamilie das Grundstück ans Militär. Wenig später wurden die Gebäude abgebrochen, einzig die Kapelle blieb stehen.
Etwas oberhalb des Sees gelangen wir zur Sewenegg. Die letzte halbe Stunde unserer Tour verläuft sanft absteigend auf einem Strässchen, das uns an Föhren in allen Formen und Grössen vorbeiführt. Manche davon sind klein und verwachsen, andere stämmig und riesengross. Wie manchen Sturm mögen die ältesten dieser Bäume wohl schon überstanden haben? Zum Abschluss überqueren wir nochmals eine Moorfläche, diesmal völlig trockenen Fusses: Auf einem Holzbohlenweg gelangen wir zurück zum Glaubenbergpass.
STECKBRIEF Glaubenberg–Fürstein
Start und Ziel Mit dem Postauto auf den Glaubenbergpass (1543 m), via Rickhubel (1943 m) auf den Fürstein (2040 m), von dort Abstieg zur Sewenalp (1719 m) und via Sewenegg (1741 m) zurück zum Glaubenbergpass
Distanz 9 km
Gehzeit 3 h 25 min
Höhenmeter 620 auf- und abwärts
Einkehr Auf dem Glaubenbergpass
Hinweis Bei Schiessbetrieb (Montag bis Freitag) sind im Wanderwegnetz am Glaubenberg Umleitungen möglich.
Infos Telefon 058 481 32 32
Text Andreas Staeger Fotos Thomas Senf
Diese Reportage erschien in der Schweizer LandLiebe #6/2023. Lesen Sie den ganzen Artikel im E-Paper.