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Ein Meer von Farben

Naturgemälde voller Mystik: So zeigt sich die Lombachalp auf einer herbstlichen Wanderung. Das Gebiet oberhalb von Habkern BE ist das Schmuckstück einer der grössten Moorlandschaften der Schweiz.

Habkern
So schön kann ein Herbstmorgen auf der Lombachalp sein: Die Sonnenstrahlen brechen durch die Wolkendecke, das Moor dampft, und das Riedgras schillert in allen Farben.

Schmal und kurvig ist das Strässchen auf die Lombachalp. Das Postauto aus Interlaken fährt deshalb nur bis Habkern. Am Dorfrand sind wir auf einen kleinen Shuttlebus umgestiegen. Unser Chauffeur ist routiniert und fährt auf der Alpstrasse elegant und zügig aufwärts. Doch auf halbem Weg wird das Fahrvergnügen jäh gebremst. In einer besonders engen Kurve arbeitet sich ein Fahrzeug mit AI-Nummernschild unsicher voran. Ob hier tatsächlich Leute aus Appenzell im Berner Oberland unterwegs sind? Unser Fahrer winkt ab und erklärt, die Lombachalp werde mittlerweile gerne auch von ausländischen Gästen mit Mietautos aufgesucht. Weil sie zu Hause oft keine Bergstrassen hätten, seien sie sehr vorsichtig und langsam unterwegs.

Habkern

Kanada? Skandinavien? Nein, Berner Oberland. Bei Möser oberhalb von Habkern plätschert der Schwarzbach durch den lichten Fichtenwald.

Zum Moor statt auf den Gipfel

Nach dem Engpass geht die Fahrt flott weiter, und schon bald erreichen wir die Endstation Roteschwand. Der Parkplatz liegt im Schatten, denn über dem Augstmatthorn, das sich südlich der Lombachalp in die Höhe reckt, hängt eine Wolkendecke. Ohnehin vermöchte die Herbstsonne ihre Strahlen um diese Tageszeit noch nicht über den breiten Bergrücken zu schicken. Dem Fahrzeug vor uns entsteigen vier junge Männer aus den USA, die mit Bergschuhen und Rucksäcken ausgerüstet sind. Ihr Ziel sei dort oben, erklären sie uns und zeigen auf das Augstmatthorn. Der Gipfel hat in den letzten Jahren durch Instagram & Co. rasant an Bekanntheit und Beliebtheit gewonnen, auch unter ausländischen Touristen. Auf dem Bergweg, der in der Nordflanke aufwärtsführt, erkennen wir Dutzende von Berggängerinnen und Berggängern, ebenso weiter oben auf dem Gratweg.

Uns hingegen zieht es heute nicht dort hinauf, sondern in die Gegenrichtung. Statt auf eine der umliegenden Bergspitzen zu steigen, wollen wir das wohl grösste und eindrücklichste Moorgebiet der Schweiz erkunden: Die Moorlandschaft Habkern-Sörenberg wird von Fachleuten als Gebiet von besonderer Schönheit und nationaler Bedeutung eingestuft. Die Lombachalp ist ein wichtiger Teil davon. Sie liegt auf einem breiten Sattel, der sich zwischen dem Hohgant und der Kette von Brienzer Rothorn und Augstmatthorn erstreckt. Während ein Teil des Gebiets alpwirtschaftlich -genutzt wird, sind andere Flächen als Flach- und Hochmoore geschützt.

Wir wollen zum Schwarzbach wandern. Zwei Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung, um dorthin zu gelangen. Die eine ist ein schöner Fussweg, der in einem weiten Bogen über die Widegg verläuft. Die andere ist ein asphaltiertes Strässchen. Natürlich entscheiden wir uns … nein, so klar ist der Fall diesmal nicht. Asphalt ist für uns Wanderer zwar grundsätzlich unattraktiv, aber diesmal geben wir ihm ausnahmsweise den Vorzug und behalten uns den Naturpfad für den Rückweg vor. Die Alpstrasse ist nämlich so angelegt, dass sie direkt durch die Moorlandschaft führt. Das erscheint aus heutiger Sicht etwas seltsam. Doch zu der Zeit, als das Strässchen gebaut wurde, war der Moorschutz in der Schweiz noch kein Thema. Dieser wurde erst 1986 in der Bundesverfassung verankert. Mit einer Volksabstimmung wollten Naturschutzkreise damals verhindern, dass mitten in der Moorlandschaft von Rothenthurm SZ ein Truppenübungsplatz gebaut wurde. Das Begehren war erfolgreich – und hatte zur Folge, dass seither Moore landesweit geschützt sind und weder überbaut noch verändert werden dürfen.

Habkern

Jedes Kind kennt ihn und lässt ihn dennoch stehen. Aus gutem Grund: Die im Fliegenpilz enthaltenen Giftstoffe führen zu Halluzinationen.

Geschützte Moorböden

Kaum haben wir den Parkplatz Roteschwand hinter uns gelassen, tauchen wir in ein Meer von Farben ein. Unterhalb des Strässchens breiten sich Wellen von rotgelb leuchtendem Riedgras aus. Dazwischen stehen kleine Gruppen von Fichten, deren Nadelkleid sich in kräftigem Grün zeigt. Weiter oben am Hang sehen wir auf einer Weide einen einsamen Vogelbeerbusch mit Blättern in vielerlei Farbtönen von welkem Grün über sattes Gelb bis zu flammendem Rot. Nebelschwaden streichen den Flanken des Augstmatthorns und des Hohgants entlang. Knalliges Blau dringt durch erste Lücken, welche die Sonne in die Wolkendecke gerissen hat.

Ein ansehnlicher Teil des Moorgebiets auf der Lombachalp ist streng geschützt. Zäune und Hinweistafeln signalisieren unmissverständlich, dass diese Zonen nicht betreten werden dürfen. Grund dafür ist der spezielle Charakter von Moorböden. Sie sind mit Wasser gesättigt und gleichzeitig sauerstoffarm. Abgestorbenes Pflanzenmaterial wird deshalb nicht vollständig zersetzt, sondern in Torf umgewandelt. Dieser Vorgang spielt sich extrem langsam ab: Es dauert Jahrhunderte, bis sich ein Hochmoor gebildet hat. Trittschäden durch Menschen und Nutztiere können das Moorwachstum empfindlich beeinträchtigen.

Gleich neben der Strasse, weitab von abgesperrtem Gebiet, entdeckt mein Wanderkollege Thomas Senf einen Tümpel, in dem sich der Himmel und das Augstmatthorn wunderschön spiegeln. Er greift nach der Kamera, unternimmt zwei Schritte vom Strassenrand weg ins Riedgras und will gerade noch einen dritten Schritt machen, als er überrascht «Ups!» ruft und den Fuss gleich wieder zurückzieht. Das vermeintlich feste Stück Boden wabbelt heimtückisch, wie wenn es ein grosser nasser Schwamm wäre. Unser Fotograf muss auf das geplante Bild verzichten. Schon bald wird er aber mit anderen wunderschönen Sujets entschädigt. Mystisch wabert der Dunst zwischen den Bäumen, am Himmel liefern sich Licht und Schatten einen neckischen Zweikampf, bis sich am Ende die Sonne gegen die Wolken durchsetzt.

Habkern

Von der Widegg geht es auf breitem Weg über einen aussichtsreichen Rücken zum Bohl-Läger. Voraus liegt der Suggiture, der westliche Ausläufer des Augstmatthorns.

Eingewinterte Alphütten

Das Strässchen, auf dem wir unterwegs sind, ist mit weissen Tafeln als Fussweg ausgeschildert. Bei der Kreuzung Schwarzbach-Möser stossen wir endlich wieder auf ein vertraut-gelbes Wanderwegschild. Es zeigt uns den Weg zur Widegg. Wenig später entdecken wir einen schönen Rastplatz am Rand der geschützten Moorfläche. Wir nutzen die Gelegenheit, um den Anblick der Moorlandschaft nochmals auszukosten.

Bis anhin ist die Wanderung nahezu ebenen Wegs verlaufen. Jetzt beginnt der Weg sanft zu steigen, bei der Verzweigung Habchegg lassen wir auch den Asphalt hinter uns und wechseln auf ein Kiessträsschen. Im Aufstieg können wir einen Teil der Moorlandschaft aus der Distanz überblicken. Sie erscheint uns als buntes Mosaik von hellen Riedgras- und dunklen Waldflächen. Wir passieren einige Alphütten, die bereits eingewintert sind, so wie die von der Sonne dunkel gegerbten und mit Schindeln -gedeckten Speicher unterhalb der Widegg.

Ab Bohl/Widegg legt sich ein schmaler Bergweg in die Flanke des breiten Bolberg-Höhenrückens. Zu unserer linken Seite öffnet sich eine grossartige Sicht in den weiten Trog zwischen Hohgant und Rothornkette. In der Ferne erkennen wir Häusergruppen, die zum Dorf Sörenberg gehören, darüber richten sich der Fürstein und der Pilatus auf. Bei der Alphütte Bohl-Läger öffnet sich die Sicht dann auch in die Gegenrichtung: Im Südwesten erkennen wir in der Tiefe ein Stück Thunersee. Kurz, aber markant ist der Aufstieg zur Hügelkuppe Winterröscht, wo uns ein Bänkli dazu

 

verleitet, nochmals innezuhalten und einen letzten Rundblick auf die bezaubernd schöne Moorlandschaft zu werfen. Der Abstieg nach Roteschwand führt erneut durch Moorböden. Weil diese je nach Wetterlage teilweise stark vernässt sind, hat man für die Wanderer freundlicherweise einen Bretterweg verlegt. Auf diese Weise gelangen wir trockenen Fusses zum «Jägerstübli», wo wir zum Abschluss unserer herbstlichen Tour eine grosszügige Portion Vermicelles verdrücken.

Weitere Informationen zur Moorlandschaft Habkern-Sörenberg, Tipps zur Anreise auf die Lombachalp sowie Empfehlungen zum Verhalten in der Moorlandschaft www.lombachalp.ch

Steckbrief

Start und Ziel Mit Postauto und Shuttlebus nach «Lombachalp, Roteschwand» (1559 m), via Schwarzbach-Möser (1586) zur Widegg (1719 m) und zurück nach Roteschwand Distanz 9 km Gehzeit 2 h 30 min Höhenmeter 280 auf- und abwärts Einkehr Auf der Lombachalp Tipp Auf der Lombachalp stehen zwei Ranger im Einsatz, die das Schutzgebiet beaufsichtigen und die Gäste informieren. Gruppenexkursionen können unter www.habkern.ch/exkursionen gebucht werden.

Text Andreas Staeger Fotos Thomas Senf

Diese Wanderung erschien in der Schweizer LandLiebe #7/2024